Wer derzeit von Katlenburg nach Northeim möchte, muss Umwege bis zu 20 Kilometer und mehr in Kauf nehmen. Die Baustelle am Harztor in Northeim schließt die einzige Südweststrecke der Region für den öffentlichen Verkehr. Besonders tragisch trifft es dabei die Bewohner aus Hammenstedt. Sie profitierten zunächst stillschweigend, durchfuhren die Baustelle wie Anlieger. Doch weil sich tausende Autofahrer zusätzlich durchmogelten, ist seit Ostern auch für sie dicht. Das sorgt für Frust und Arger. Bei den Anliegern und Bewohnern in Hammenstedt, weil sie einen viermal so langen Umweg in Kauf nehmen müssen und sich von der Politik mittlerweile im Stich gelassen fühlen. Und im Northeimer Rathaus, weil der Eindruck entsteht, die Kontrolle verloren zu haben.

Gegen die Wand gefahren

Fahrzeuge mit Blaulicht und Busse dürfen noch durch die Baustelle fahren. Auch Anlieger, die direkt an der Baustelle leben, dürfen ihre Grundstücke anfahren und das Wieterviertel als Umleitung nutzen. Ursprünglich wurde dies auch den Bürgern in Hammenstedt und den Anliegern am Gesundbrunnen zugesagt. Ohne Rechtsgrundlage zwar, aber geduldet. Doch spätestens seit April ist auch für sie die Schranke unten, „im Rathaus geht niemand mehr ans Telefon, wenn wir anrufen“, sagt eine Bürgerin. Der Vorwurf wird Mitte Mai in einem offenen Brief einer Ortsratsgruppe wiederholt. Er lautet: Wortbruch des Bürgermeisters.

Der gesteht in einer einberufenen Pressekonferenz ein, dass sich die Situation anders entwickelt habe, als zunächst angenommen. Und die Hammenstedter sind nicht einmal Schuld daran. Laut Rathaus sei auch nach der Sperrung noch rund die Hälfte des ursprünglichen Verkehrs durch die Baustelle gefahren, darunter Pendler und der Schwerlastverkehr. Die Stadt musste reagieren, auch, weil die beteiligten Baufirmen mit Streik drohten.

Sie sahen ihre Mitarbeitenden an der Baustelle durch die Lastwagen gefährdet. Straßenposen wurden aufgestellt; zunächst Mitarbeitende der Stadtverwaltung und Ordnungsdienste, später der Baufirma. Auch Bürgermeister Hartmann machte sich einen Nachmittag ein Bild von der Situation. Allein diese Maßnahme kostete laut Rathaus rund 100.000 Euro extra.

Chaos mit Ankündigung

Die Situation ist schwierig und sprichwörtlich Verfahren. Die Baustelle und alle Folgen sind laut Hartmann seit 2013 Absehbar, als laut Rathaus das erste Mal die Begriffe „Baustelle“ und „Rathaus“ in einem Satz genannt wurden. Eine Maßnahme, an die sich keine Kommune gerne herantraut. Auf der einen Seite muss sie durchgeführt werden, um mindestens die Schäden zu beseitigen. Doch Unmut und Ärger waren vorprogrammiert.

Als die ersten Maßnahmen im Oktober 2020 begannen, wurde im Vorfeld bereits geplant und getüftelt. Tausende Fahrzeuge passieren die Strecke täglich, direkte Entlastungsstrecken gibt es außer ein paar schmale Waldwege nicht. Die Anforderungen für Umleitungen sind groß: Lastwagen müssen sie passieren können, egal wie schwer und groß.

Als die Strecke erstmals für den öffentlichen Verkehr geschlossen wurde, entschied sich der allmächtige Verkehr zu kollektivem Ungehorsam. Anwohner am Wieterrand waren frustriert, Lastwagen fuhren sich in den engen und steilen Wohngebieten fest. Pendler aus dem Harz, Northeimer und der Fernverkehr versuchten es immer wieder – und kamen mehr oder weniger durch. Die Polizei kontrollierte, teilte Ordnungswidrigkeiten aus. In Northeim rief man sich spottend zu: „Ich fahre einfach durch, und zahle einmal pro Woche die zehn Euro“. Wer sich an die Sperrung hielt, galt als „dumm“ und „feige“.

Hammenstedt ist aufgeregt

In Hammenstedt haben die Bürger die Kreisstadt vor Augen, müssen aber trotzdem einen riesigen Umweg in Kauf nehmen. Das frustriert, auch Bürgermeister Hartmann kann „diese Emotionalität nachvollziehen.“ Nachdem sie zu Anfangszeiten noch ähnlich wie Anlieger behandelt wurden und die Baustelle durchfahren durften, ist spätestens seit Ostern auch damit Schluss. Vor allem aber deshalb, ist aus dem Rathaus zu hören, weil es ihnen zu viele gleichtaten. Das Gentleman-Agreement musste schließlich aufgelöst werden. Als „Unglücklich“ kommentieren das die Hammenstedter im Gespräch mit Northeim jetzt – wobei das noch die netteste Formulierung ist.

Denn die Hammenstedter fühlen sich nun eines Versprechens des Bürgermeisters beraubt. Der wiederum beruft sich nun wiederholt auf die Rechtslage: Sollten die Hammenstedter als Anlieger anerkannt werden, müsste das auch für andere Ortschaften gelten. „Juristisch haben wir da keine Handhabe“, so Hartmann. Das war aber schon vorher der Fall. Die Bürgern in Hammenstedt wurden am Ende Opfer der 4.000 anderen Verkehrsteilnehmer.

Der ganze Frust des Northeimer Ortsteils floss vor gut zwei Wochen in einen Brief der Unabhängigen Wahlergemeinschaft in Hammenstedt als Teil des Ortsrates. Das Papier lag Bürgermeister Hartmann vor, als er im Rathaus mit der Presse sprach – erst mit HNA und Northeim jetzt, später auch mit RTL vor laufender Kamera. Freilich spricht die Gruppe nicht für alle Bürger, betonen sie auch selbst. Doch der Frust ziehe sich durch alle Straßen.

In ihrem Brief erinnert die Hammenstedter das Stadtoberhaupt an offenbar gemachte Versprechen, an Bekundungen der Rücksichtnahme – und werfen der Stadtverwaltung in letzter Konsequenz Ignoranz und das Gefühl vor, „im Stich gelassen“ zu werden. Nur eine Aussage bringt dann auch den sonst gefassten Bürgermeister aus eben dieser. „Die Einwohner Hammenstedts, müssen jetzt unter den Versäumnissen der Polizei und der Verwaltung leiden“, schreiben die Hammenstedter. Das möchte Hartmann so aber nicht stehen lassen, sagt er.

Zwar stehe in dem Brief fachlich „nichts Falsches drin“. Doch das „Bashing der Ordnungsbehörden“, wie Hartmann es formuliert, sei „überzogen, unsachgemäß und nicht fair“. Er habe zwar „Verständnis für die Betroffenheit, aber hier die Verantwortung in Richtung Polizei zu schieben, halte ich für völlig überzogen“. Vor allem, weil diese Vorwürfe von einer „politische Gruppierung“ kommen, halte er die Vorwürfe für „nicht sachgemäß“.

Zahlenspiele auf allen Seiten

Es waren die Baufirmen, die der Stadt am Ende die Pistole auf die Brust setzten und sie zum Handeln zwangen. Zu gefährlich sei es, bei so viel Verkehr auf der Baustelle zu Arbeit. Schon oft sei es in dieser Zeit zu schwierigen Situationen im Bereich der Baustellen gekommen, wenngleich Unfälle laut Stadt bisher ausblieben. Die reine Duldung des umliegenden Verkehrs, der Großzügigkeit der Planer wurde ihnen zum Verhängnis. „Die Bereitschaft, dass zu tolerieren, wurde mit mehreren tausend Fahrzeugen pro Woche ausgenutzt“, sagt Hartmann, der zumindest für die Hammenstedter nun als Wortbrecher dasteht.

Aus ihrer Not heraus suchten die Hammenstedter selbst Lösungen. Die Vorschläge, ständig zu kontrollieren, die Hammenstedter mit Ausweisen auszustatten oder einen Dauerblitzer auszustatten, prallten am Rathaus aber ab. Vieles, wenn nicht sogar alles, sei laut Hartmann schlichtweg nicht mach- oder bezahlbar. Ein Beispiel: allein die bisherigen regelmäßigen Kontrollen durch Mitarbeitende der Stadt und später der Baufirmen machen laut Rathaus-Rechnung das Bauvorhaben schon jetzt 100.000 Euro teurer. Die Polizei kann das nicht leisten – es halfen nur noch Schranken und Absperrungen.

Doch in Hammenstedt wird anders gerechnet: „4000 Fahrzeuge x 55 Euro Bußgeld = 220000 Euro in die Stadtkasse. Und das an einem Tag, wie viel Kontrolleure hätte man einstellen können. Das liegt das Geld auf der Straße und es wird nicht eingesammelt. Völlig unverständlich.“ Doch so einfach ist das nicht, betont Hartmann. „Am Ende sorgen alle diese Maßnahmen zu einer Verlängerung der Baustellenzeit.“

Inzwischen gibt es zahlreiche Offizielle und inoffizielle Strecken rund um die Baustelle. Auch Waldwege mussten gesperrt werden, teilweise wurden diese festen Sperrungen gewaltsam wieder geöffnet. Die Polizei spricht wiederholt von einer Ignoranz aller Verkehrsteilnehmer gegenüber den Maßnahmen. Hartmann vermeidet es, die Lage so drastisch zu betiteln. Auch bei einem von der Orts-SPD initiierten Gespräch mit Bürgern am vergangenen Freitag wiederholt der Bürgermeister seine Argumente, nur wenige widersprechen ihm – und wiederholen statt dessen die Vorwürfe des Unvermögens, gegen die sich die Stadt mit Vehemenz wehrt.

Hammenstedt und die Stadtverwaltung trennt mittlerweile mehr als nur eine Baustelle oder 20 Kilometer Umweg. „Das Vertrauen in die Spitze der Verwaltung ist verschwunden, denn man hat deren Worten geglaubt. Als einzige Ortschaft östlich von Northeim sind wir wie immer abgehängt“, schreiben die Ortsratsmitglieder abschließend.

Neue Lösungen aus dem Rathaus gibt es nicht. Nur Perspektiven von Bürgermeister Simon Hartmann, dass im Herbst der Spuk ein Ende hat. „Wir sind im Zeitplan.“ Nach der ersten Oktoberwoche soll der Verkehr freigegeben werden.

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3 Kommentare

  1. Sorry aber Hammenstedt ist nicht allein auf dieser Welt. Es gibt genügend Menschen die in Katlenburg, Elvershausen etc wohnen denen das gleiche passiert ist. Jeden Tag! Die jammern auch nicht und ertragen den IST Zustand. Also bitte KEIN Mimimi… nochmal Sorry

  2. […] Für Pendler und Anwohner ist die Baustelle seit gut einem Jahr ein Ärgernis. Die Umleitungsstrecken sind teilweise überlastet, dafür nicht geeignet – aber immer gut 20 Kilometer länger als die direkte Strecke. Gleichzeitig aber gefährden die Baustellen-Fahrer den Fortschritt der Baustelle und unter der Woche sogar die Bauarbeiter. Vor einigen Monaten drohte die Firma sogar mit Streik. […]

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