Rund 1.300 Flüchtende aus der Ukraine finden derzeit im Landkreis Northeim ein neues Zuhause. Möglich macht das vor allem das Engagement vieler Privatleute, Ehrenamtlicher und Vereine. Sie sammeln Spenden oder stellen Wohnraum zur Verfügung, bauen Netzwerke auf und kümmern sich um verletzte Seelen. Dabei fühlen sie sich selbst von Ämtern und Behörden allein gelassen. In Sudheim warten Helfer auf Informationen und finanzielle Mittel, dabei stellen sie schon seit Wochen Wohnraum zur Verfügung. Offenbar stehen Mitarbeitende im Kreishaus unter hohem Druck, die Landrätin jedoch wehrt sich gegen Kritik – und neues Personal.

Ich treffe Familie Zimara, Reinhold Bethe und Anna Krause in Sudheim. Alle drei haben auf unterschiedliche Art und Weise Familien aus der Ukraine unterstützt, die Zuflucht im Landkreis Northeim gesucht haben. Familie Zimara stellt dafür eine Wohnung im eigenen Haus zur Verfügung. Gemeldet haben sie diese schon am 6. März, fünf Tage später – am 11. März – kam vom Landkreis bereits die kurzfristige Anfrage, ob eine Familie dort sofort einziehen könnte. „Das haben wir zugesagt, dann aber nie wieder etwas vom Landkreis gehört“, erzählt Stephan Zimara.

Keine Antworten aus dem Kreishaus

Erst auf Druck des Sudheimer Ortsbürgermeisters sei schließlich am 18. März das Technische Hilfswerk zur Überprüfung der Wohnung vorbeigekommen. „Der Mann war sehr nett und hatte auch gleich einen vorgefertigten Mietvertrag dabei, den wir ausfüllen konnten“, berichtet Zimara. „Es sollte dann nochmal jemand vom Landkreis kommen und den unterschreiben. Jetzt ist Mai, bisher steht nur unsere Unterschrift unter dem Vertrag“, so Zimara.

Mietvertrag nicht unterschrieben

Mittlerweile ist am 30. März eine Familie aus der Ukraine in Sudheim eingezogen. „Sie wurden uns eine Stunde vorher angemeldet und wurden dann einfach so vor der Haustür abgesetzt“, erinnert sich Stephan Zimara. Seit dem hat sich vom Landkreis Northeim selbst niemand mehr gemeldet. Nur auf Nachfragen und Emails wurde geantwortet. „Jedes Mal hatte ich einen neuen Ansprechpartner.“ Der Mietvertrag ist immer noch nicht unterschrieben. „Wir haben bis heute kein Geld bekommen“, sagt Zimara.

Landrätin Astrid Klinkert-Kittel besuchte vor wenigen Wochen die Erstaufnahmestation für Flüchtenden aus der Ukraine. Von dort aus werden die Familien in Wohnungen untergebracht. Foto. Landkreis Northeim

Kein Ansprechpartner

Laut Kreisverwaltung haben bis zur ersten Maiwoche 1.529 Menschen aus der Ukraine den Landkreis Northeim erreicht und wurden offiziell erfasst. 1.212 von ihnen erhalten bereits Leistungen von der Kommune. Vollständig registriert sind allerdings nur „rund 500 Personen“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. „Das müssen wir jetzt übernehmen“, sagt Anne Krause. Sie arbeitet Vollzeit und hat Flüchtende bereits im Februar privat aufgenommen. Statt dass sich im Kreishaus jemand als direkter Ansprechpartner zur Verfügung stellt, sind die Flüchtenden gezwungen, die Behördengänge allein zu bewältigen – oder eben mit Unterstützung. „Ich habe einen ganzen Ordner. Allein das Ausfüllen der Anträge für den Aufenthaltstitel hat drei Stunden gedauert. Pro Person“, ergänzt Stephan Zimara.

Kreisverwaltung am Limit

Dass die Situation auch für die Kreisverwaltung nicht ganz einfach ist, zeigt der Umstand, dass auch hier täglich und vor allem kurzfrsitig Flüchtende ankommen. „Eine Information, wann und wie viele Personen im Landkreis eintreffen, erhält der Landkreis meist nur mit wenigen Stunden Vorlauf“, betont die Sprecherin. Zudem bemühen sich die Verantwortlichen, sie so schnell wie möglich zu registrieren. „Beim Eintreffen der Geflüchteten in der Gemeinschaftsunterkunft erfolgt direkt vor Ort eine Ersterfassung der persönlichen Daten“, so die Sprecherin. „Im Anschluss erhalten die Personen einen Termin für die erkennungsdienstliche Erfassung im Rahmen der Registrierung im Kreishaus.“ Wann sie diesen wahrnehmen, ist ihnen selbst überlassen. Nicht jeder bleibt im Kreis, viele ziehen weiter zu Freunden oder Bekannten in Deutschland.

Anfang März zeigten sich hunderte Northeimer solidarisch mit den Flüchtenden und setzten ein klares Zeichen gegen den Krieg. Viele boten und bieten ihre Hilfe an.

Flüchtende untergebracht

Wer bleibt, soll aber nach Möglichkeit in privatem Wohnraum unterkommen – so wie in Sudheim. Anfang Mai waren 45 Wohnungen durch den Kreis angemietet, 20 davon waren bezugsfertig. „50 weitere Wohnungsangebote befinden sich derzeit noch in der laufenden Bearbeitung“, sagt die Kreissprecherin. Heißt: Es sind Renovierungsarbeiten notwendig. Von den 20 sind 18 Wohnungen bereits von etwa 70 Personen bezogen. In zentralen Unterbringungen sind vom Landkreis derzeit 170 Personen untergebracht.

Nur zwei Registrierungsstellen

Der Kreis geht davon aus, dass die meisten – rund 1.300 – Flüchtenden privat untergekommen sind. „Die schnellstmögliche Verteilung auf den vorhandenen Wohnraum, sowie die Anmietung von weiterem Wohnraum wird weiterhin vom Landkreis fokussiert.“ Dazu gehören auch die drei Helfenden aus Sudheim, die bis sich mittlerweile im Stich gelassen fühlen. Tatsächlich gibt auch die Kreisverwaltung zu, dass sie etwas hinterher ist. Demnach ist es nur an zwei Stellen aktuell für die Flüchtenden möglich, sich zu registrieren. „Diese bieten die Möglichkeit wöchentlich bis zu 150 Personen, inklusive Antrag auf Aufnahme des Aufenthaltstitels, erkennungsdienstlich zu erfassen und damit zu registrieren“, heißt es auf Nachfrage.

Trotzdem helfen

Dennoch türmen sich die Mietverträge auf den Schreibtischen. „Je nach Vollständigkeit des vorliegenden Angebots kann die Abwicklung im Einzelfall etwas Zeit in Anspruch nehmen“ heißt es dazu allgemein auf Nachfrage. In Sudheim sind es mittlerweile sechs Wochen. Geholfen zu haben, das bereut aber keiner der Beteiligten. „Ganz im Gegenteil“, sagt Stephan Zimara. „Wir wollen ja helfen, wünschen uns aber, dass uns auch geholfen wird.“ Anne Krause fasst es für sich deutlich zusammen. „Sie haben uns das Leid gezeigt, dem sie entflohen sind. Nichts davon, was hier bei uns passiert oder nicht passiert hält uns vom Helfen ab. Nichts. Das ist einfach schrecklich, was in der Ukraine passiert.“

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