Das Jahr 2019 war eine wilde Achterbahnfahrt für den FC Eintracht Northeim. Im Sommer ging es vor tausenden Zuschauern noch um den DFB-Pokal und wenige Wochen später um den Aufstieg in die Regionalliga. Zum Weihnachtsfest aber leuchtet die rote Laterne. Mittendrin im Abstiegskampf kündigt der größte Investor des Vereins aus persönlichen Gründen seine Unterstützung auf. Dass die Saison schwer würde, wusste Vereins-Boss Tim Schwabe im Gespräch mit Northeim jetzt. Dass es aber so knallt, so laut und tief ins Mark; das hat alle aufgerüttelt, sagt Vorstandsmitglied Moritz Braukmüller. Mit ihm habe ich darüber gesprochen, was dieses halbe Jahr mit dem Verein und den Menschen, die sich in ihm engagieren, angestellt hat. Und was er, Pressesprecher Braukmüller, als Stimme des Vereins dagegen tun konnte.
Die Stimme
Nieselregen und ungewöhnliche warme zehn Grad erwarten die Spieler des FC Eintracht Northeim zum ersten Training im Jahr 2020. Das Flutlicht schenkt an diesem Abend das einzige Licht am Rhumekanal. Trainer Simon Schneegans lässt seine Jungs erstmal warmlaufen. Die A-Jugend hat sich zum Turnier nach Göttingen verabschiedet, trotzdem stehen fast 20 Beinpaare auf dem Kunstrasen. Dort findet man auch Moritz Braukmüller, bei „seinen Jungs“. Er ist so etwas wie die Stimme des Vereins: Stadionsprecher, Pressesprecher, Social-Media-Gesicht. Als Fan des 1. FC Köln könnte er sich auskennen mit Fußball-Leid. So emotional wie die Eintracht 2019, das war aber auch für ihn neu.
Abklatschen mit den Jungs, Anfeuern beim Hütchenlaufen und Handykamera darauf für den nächsten Post bei Facebook. Wie kaum ein Verein in der Region hat die Eintracht verstanden, ihre Fans respektvoll in den sozialen Medien abzuholen. Der FC Eintracht Northeim hat neben Northeim jetzt den größten Instagram-Account der Region. Für Facebook gibt es eine eigene Talk-Show, live übertragen bei jedem Heimspiel. Spielberichte liefert der Verein auf seiner Homepage, direkt vor und nach jedem Spiel fast aller Mannschaften. Moritz Braukmüller sammelt Eindrücke, macht Fotos, freche Sprüche und bunte Grafiken. Genau das, was die Fans in den sozialen Medien lieben. Die Eintracht ist medial nahbar wie sonst nur Profi-Clubs. Mittlerweile ist Braukmüller Teil des Vorstand-Teams, ehrenamtlich.
Das gute Wort
Braukmüller erledigt das mit Herz und Seele. Deshalb soll es auch Herz- und Seelenarbeit sein. Das bedeutet auch, bei jeder Phase des Vereins emotional dabei zu sein und ein Stück von sich selbst hinzuzugeben. So wird es lebendig, „so macht es mir Spaß. Und wenn es das nicht mehr macht, dann würde es schwer“, sagt er. Als klar war, das Investor Dietmar Herrdum kein weiteres Geld in den Verein stecken wird, hatte der Vorstand zwei Wochen Zeit, angemessen darauf zu reagieren. Budgets mussten neu geplant und Spieler informiert werden. Vor allem aber musste die Öffentlichkeit davon erfahren: Die Fans, die Sponsoren, Spieler, Eltern, Unterstützer, Förderer. Alle. „Wir sind bei allem, was wir taten und tun, immer transparent. Egal ob im Erfolg oder in der Niederlage“, sagt Braukmüller. Nicht lange ist es schließlich her, als der Verein vom Aufstieg träumte – gleich zwei Jahre in Folge. Es kam anders. 2019 hat auch ihm persönlich noch einmal sehr viel Demut beigebracht.
und Leidenschaft. Kurzum: mit Persönlichkeit. Dies ist aber kein Monolog, sondern ein Dialog. Besonders in Krisenzeiten kommt deshalb auch viel zurück: Kritik, Häme, Beleidigungen. Auch damit muss Moritz Braukmüller umgehen. Oder? Als klar wurde, dass das Jahr hart wird für den Verein, blieb der Shitstorm aus. „Wir waren von Anfang an transparent mit allem, was wir wussten und sagen wollten.“ Wild spekuliert wurde nur im Internet. Woran es liegt, dass der Verein unten steht. Und warum der Investor von heute auf morgen abhaut. Beleidigungen gab es keine. Ganz unverletzt geht aber keiner im Vorstand mit der Sache um. „Dafür sind wir zu sehr engagiert“, sagt Braukmüller.
Also wurde auch jetzt ausführlich auf allen Kanälen berichtet und erzählt. Darüber, was passiert ist und welche Folgen das für den Verein hat. Mit allen Informationen, die es dort eben gibt und gab. Nur der Grund für das Ausscheiden des Investors blieb wage. „Persönliche Gründe“ haben als Aussage vor allem der Presse viel Raum für Spekulationen gegeben. Ob wohl die Tabellen-Talfahrt des Teams damit zu tun hat? Eine Krankheit oder mangelnde Lust? Die Antwort ist einfach: „Kein Kommentar“.
„Die wichtigste Aufgabe für uns als Vorstand und mich als Pressesprecher war es erst mal, dass wir uns vor die Mannschaft gestellt haben. Sie abgeschottet und geschützt haben“, sagt Braukmüller. Sportliche Flaute und ein kreiselnder Budgetplan. Auch für die Spieler eine belastende Situation. Es drohte eine absolute Abwärtsspirale. Doch die blieb aus. Der Sport stand im Fokus, für alles andere blieb keine Zeit.
Das hat die Eintracht gelernt
Was machen sie jetzt anders am Rhumekanal? Laut Braukmüller hatte man schon vor dem Abgang des Haupt-Investors die Strukturen umgebaut, um in Zukunft weniger abhängig zu sein von einzelnen, großen Geldquellen. „Wir haben schon vorher erkannt, dass das kein Model der Zukunft ist und haben zusammen mit Dietmar (Herrdum) an dieser Umstellung gearbeitet.“ Geplant war allerdings auch, dass man diesen Weg gemeinsam zu Ende geht. Nun musste also improvisiert werden.
Tim Schwabe hatte es im Interview schon erklärt, wie es eigentlich hätte funktionieren sollen. Die finanzielle Last würde durch viele kleinere Sponsoren getragen. Denen wird wiederum mit FC Eintracht eine attraktive Plattform geboten, um sich einerseits zu präsentieren und sich andererseits untereinander zu vernetzen. Ein wichtiger Bestandteil ist dabei auch die Arbeit von Moritz Braukmüller. Eintracht-Partner werden gezielt auf den Social-Media-Plattformen präsentiert und in die Berichterstattung eingebunden. So werden Zielgruppen angesprochen, die über bloße Bandenwerbung, wie es früher üblich war, niemals erreicht werden könnten.
Dieses Portfolio sollte langsam aufbaut werden. Nun heißt es: Akquise, Akquise, Akquise. Doch bei einem solchen Hammer – 200.000 Euro fehlen im Jahresbudget – müssen auch Sofortmaßnahmen ergriffen werden. Investitionen wurden zurückgestellt, Gehälter angepasst. Der Verein ist auf keinen Fall insolvent, muss aber sparen. „Wir haben ein großartiges Team aus ehrenamtlichen und Fans. Alle sind durch diese Sache zusammengerückt, alle bieten ihre Hilfe an“, so Braukmüller.
Auf die Jugend, auf die Zukunft
Doch auch sportlich muss der Verein reagieren. Für die laufende Saison wurden Einzelgespräche mit den Spielern geführt. Viele verzichten auf unterschiedliche Art und Weise auf bis zu 30 Prozent ihrer Vertrags-Leistung. „Wir haben eigentlich damit gerechnet, dass uns ein paar Spieler deswegen verlassen. Aber so kam es nicht. Im Gegenteil. Das ist außergewöhnlich.“ Braukmüller geht aber davon aus, das Spieler nach Saisonende den Verein möglicherweise trotzdem verlassen. Dann nämlich laufen die Verträge aus. Die Papiere, die dann angeboten werden, können mit dem Alt-Angebot „wahrscheinlich nicht mehr mithalten“. Deshalb wird schon jetzt auf die Jugend gesetzt. Allein zur Rückrunde werden fünf U23- und U19- Spieler in die erste Mannschaft hochgezogen.
Am Trainer will der Verein weiter festhalten, auch wenn der Abschied von Co-Trainer Oliver Hille für Verstimmung sorgte. „Es geht auch darum dem Trainer Entwicklungszeit zu geben.“, sagt Braukmüller. Und die Eintracht sei nicht der Verein, der das Traineramt auf einen Schleudersitz baut. Stattdessen wird an die Gemeinschaft appelliert. „Im Rahmen der Gespräche haben wir, abgestimmt mit dem Mannschaftsrat, auch Optimierungen eingefordert“, erzählt Braukmüller. Und die wurden geliefert, die Ergebnisse verbesserte sich analog zur Trainingsbeteiligung.
Halbzeitpause
Als die Eintracht vor zwei Jahren den damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel nach Northeim holte, war die Euphorie groß wie nie. Aufbruchsstimmung, der Verein wollte sich neu erfinden und die nächste Stufe erreichen. Das hat soweit geklappt, als das die Erneuerung nun dabei hilft, den Verein zu retten. Durch Moral und Zusammenhalt. Das Projekt Wachstum wird damit erst mal verschoben – ist aber nicht aufgehoben. Den Abstieg gilt es trotzdem zu verhindern. Kommt er aber doch, sind Braukmüller, Schwabe und alle anderen Lenker im Verein darauf vorbereitet. „Wir wollen das verhindern. Es wäre aber naiv, wenn wir uns darauf nicht vorbereiten“, sagt Braukmüller. Die Spieler nehmen diese Aufgabe an, davon ist er überzeugt. Schließlich sind es „seine Jungs“. Zu wissen, um was es geht, das mache die Aufgabe leichter. Zuletzt zeigte die Formkurve nach oben. Das Team sei bereit, der Verein sowieso. Alles andere kommt später. Und wenn es so weit ist, wird Moritz Braukmüller davon erzählen.