Am Sonntag platze die Bombe: Versand-Riese Amazon möchte gern ein Verteilzentrum in Northeim bauen. Was genau das ist, was dort passiert und wie die Stadtverwaltung das findet, gab es nun während einer Pressekonferenz zu sehen. Vertreter von Amazon waren in der Northeimer Stadthalle dazu per Video-Chat zugeschaltet. Bürgermeister Simon Hartmann will nun verstärkt Werbung für das Projekt machen. Überzeugen muss der dabei vor allem den Stadtrat.
Das ist ein Verteilzentrum
Klar ist jetzt: Amazon hat sich Northeim selbst angeboten und Interesse am Grundstück im neuen Industriegebiet West bekundet. Gesucht werde Platz für ein Verteilzentrum: 7.000 Quadratmeter groß, mindestens 150 Mitarbeiter schwer und mit Anschluss an dicke Straßen. Nadiya Lubnina und Thorsten Freers von Amazon haben für Amazon erklärt, was sie in Northeim vorhaben. Amazon möchte sich in Zukunft unabhängiger von Boten wie der Post und DHL machen. Von einem solchen Zentrum wie in Northeim geplant will der Onlinehändler deshalb in Zukunft seine Kunden direkt beliefern. Die Manager sprechen dabei immer wieder von der „letzten Meile“ der Pakete, bis sie beim Kunden eintreffen.
Gelagert wird in diesen Zentren also nichts. Vor allem in den Abendstunden sollen bis zu 40 Lastwagen täglich bestellte Pakete nach Northeim bringen, die im Verteilzentrum anschließend sortiert und in die eigenen Lieferwagen verladen werden. Dafür braucht es nicht nur eine gigantische Logistik-Halle mit Personalräumen und Büros, sondern auch mindestens 500 Stellplätze für Fahrzeuge. Insgesamt soll das von der Stadt zu kaufende Grundstück so gut sechs Hektar groß sein.
Amazon ist Mieter, nicht Käufer
Amazon selbst wird das Grundstück aber nicht kaufen, sondern ein Investor. In diesem Fall ist das die „P3-Logistic-Parks“ aus Frankfurt. Dieser wird neben dem Grundstückskauf auch den Bau der Anlage verantworten. Amazon wird für die Nutzung Areal und Halle lediglich mieten, das Vorgehen sei laut Freers üblich in der Branche. Normalerweise plant Amazon mit einer Nutzung und Miete der Anlage von mindestens zehn Jahren. Der Investor selbst stand während der Pressekonferenz nicht Rede und Antwort. „Wir wollen erstmal Amazon die Gelegenheit geben, zu zeigen, was dort geschehen soll“, kommentiert Bürgermeister Simon Hartmann.
Auch über mögliche Kaufpreise wurde nicht diskutiert. Amazon selbst gebe zu diesem Thema grundsätzlich keine Auskunft, sagt Lubnina. Tatsächlich, so Bürgermeister Hartmann, stehe der Preis auch nicht fest. Denn noch müsse abgewartet werden, ob der im Dezember 2019 losgeschickte Förderantrag bewilligt werde. Das Geld aus dem Landesprogramm „Förderung hochwertiger wirtschaftsnaher Infrastrukturmaßnahmen“ entlaste vor allem bei der Erschließung des Grundstücks. Davon profitieren sollen eigentlich Areale, die mit kleinen und mittelständischen Unternehmen besiedelt werden. Bisher stehen nur Amazon und ein Erweiterungsbau von THIMM auf der Interessenten-Seite – beide alles andere als klein oder mittelständisch.
Am Ende ist das, was Amazon in Northeim bauen will also nichts, was nicht schon DHL, DPD oder Hermes im Stadtgebiet betreiben: Ein Umschlagzentrum für Pakete. Der Unterschied hier: An der Fassade steht Amazon. Das amerikanische Unternehmen ist allerdings bekannt für innovative Ansätze und kreative Lösungen. So will man neben eigenen Fahrern auch mit lokalen Firmen zusammenarbeiten, um die Pakete vom Verteilzentrum direkt an die Haushalte zu liefern. Geschehen soll dies übrigens in einem Umkreis von rund 70 Kilometern. Für den eigenen Fuhrpark sollen vorzugsweise Elektrofahrzeuge zum Einsatz kommen, die auf den eigenen 500 Stellplätzen auch geladen werden können. Ausgeklügelte Computersysteme berechnen anhand der Zieladressen für jedes Paket die beste Route. So soll Zeit und Energie gespart werden, verspricht das Unternehmen. Trotzdem starten täglich zwischen 200 und 500 Fahrten.
Ein besonderer Lohnsektor
Neben den rund 150 Arbeitsplätzen im Zentrum selbst will Amazon am Standort bis zu 500 Fahrer und Disponenten beschäftigen – entweder selbst oder durch Partner. Dabei soll vor allem der sogenannte Niedriglohn-Sektor bedient werden. Heißt: Bei Amazon in Northeim sollen Menschen Arbeit finden, die keine Berufsausbildung haben, also ungelernt sind. Dafür hat das Unternehmen einen hauseigenen Tarif: 11,71 sollen Mitarbeiter in Northeim mindestens verdienen. Hinzu kommen Zuschläge für Nacht- und Schichtarbeit, Wochenenddienste und Feiertags-Zuschläge. Die meisten Wettbewerber zahlen ähnlich.
Sollte der Grundstücksverkauf klappen und der Bau der Anlage reibungslos über die Bühne gehen, möchte Amazon zum Weihnachtsgeschäft 2021 in Northeim loslegen, betont Nadiya Lubnina. Rund 200 Fahrzeuge sollen dann täglich in Northeim starten und die Menschen in der Region mit ihren über Amazon.de bestellten Waren versorgen. Dabei betonten die Amazon-Vertreter auch die Chancen lokaler Geschäfte, wenn sie Amazon als Plattform und Amazon Logistics für sich nutzen. Schon jetzt seien 58 Prozent aller Drittanbieter auf Amazon.de lokale Händler, die ihre Produkte über Amazon anbieten und Logostics nutzen, um die Waren an ihre Kunden liefern zu lassen.
Eine handvoll Chancen
Amazon hatten sich laut Freers recht schnell für Northeim entschieden. Demnach sei der Stadtort für das Unternehmen geografisch ideal gelegen, Anbindungen an die Autobahn 7 und die Bundesstraße 3 wären direkt vor der Tür. „Wir haben sehr viele Kunden in der Region und wollen diese selbst erreichen“, sagt der Public Policy Manager. Zudem spricht für Northeim, das ein solches „ideales Grundstück“ im neuen Industriegebiet West verfügbar sei – und das auch noch zu einem guten Preis.
Am Ende hängt es aber auch vom politischen Willen der Stadt Northeim ab, ob Amazon loslegen darf. Deshalb versprach Bürgermeister Simon Hartmann, jeden nun folgenden Schritt im Entscheidungsprozess öffentlich zu machen. Dazu gehöre vor allem die Änderung des Bebauungsplanes, die zunächst durch alle notwendigen Gremien und schließlich den Stadtrat abgesegnet werden muss. Erst dann sei es möglich, das Grundstück überhaupt zu verkaufen. Auch der notwendige Grundstückstausch mit der Klosterkammer sei zwar bereits fertig verhandelt, aber erst mit der B-Plan-Änderung rechtskräftig.
Deshalb will Hartmann nun alle Fraktionen besuchen und Werbung für die Sache machen. „Wir wollen Northeim wirtschaftlich stärken“, so sein Hauptziel. Durch die Amazon-Anfrage fühle man sich im Rathaus „im Ansinnen unterstützt“. Und weiter: „Wir sind überzeugt davon, eine Chance für die Stadt Northeim zu bekommen“, so Hartmann. Diese Chance „sollten auch ergriffen werden“. Unterstützung erhält er dabei auch vom Northeimer Jobcenter. „Auch das Jobcenter steht der Sache positiv gegenüber“, sagt Hartmann nach einem Gespräch mit Jobcenter-Geschäftsführer Stefan Schäfer.
Kein Ärger für Rabe
Eher milde reagiert Bürgermeister Simon Hartmann auf die Frage, ob der ehemaligen Northeimer Bürgermeister und Stadtratsmitglied Irnfried Rabe mit Konsequenzen zu rechnen habe. Warum? Ursprünglich war der Verwaltungsausschuss der Stadt Northeim vor rund drei Wochen über das Interesse von Amazon informiert worden. Normalerweise wird über Vorgänge im Verwaltungsausschuss Stillschweigen vereinbart. Nun plauderte Rabe das Amazon-Angebot aber zur jüngsten Kreistagssitzung öffentlich aus – und kritisierte gleichzeitig die Presse, weil diese noch nicht über das Thema berichtet hätte.
Am darauffolgenden Sonntag dann wurden die Medien mit ersten Informationen und einer Bestätigung in Kenntnis gesetzt. Laut Hartmann war dieser Fahrplan so auch geplant. So sollten die Mitglieder des Verwaltungsausschusses am vergangenen Montag und dann am Mittwoch die Presse mit Details versorgt werden. „Alles nach Plan“, kommentiert der Bürgermeister. Das kleine Störfeuer ignoriert er deshalb weg. „Wir müssen als Verwaltung die Chance nutzen und mit dem Stadtrat partnerschaftlich arbeiten“, sagt der Verwaltungschef. Rabe war auch der erste, der Kritik an Amazon äußerte und in einem Artikel der HNA den Northeimer Einzelhandel durch den großen Onlineanbieter bedroht sieht.
Goldene Erde im Industriegebiet West
Für das Industriegebiet West soll Amazon der erste namenhafte Leuchtturm werden. In einer neuen Broschüre wirbt die Stadt Northeim ab sofort für „attraktive Gewerbeflächen“. Verkaufsargument bleibt dabei immer die Lage: Autobahn, Bundesstraße und Bahnhof sind kaum einen Kilometer entfernt. Insgesamt 20 Hektar stehen zum Verkauf, die ersten sechs sollen an Amazon gehen. Auch Thimm plant, seine Fläche in das neue Gewerbegebiet zu erweitern. Vor allem sei man aber auf der Suche nach kleinen und mittelständischen Unternehmen, sagt Christiane Unger von der Wirtschaftsförderung. Erste Gespräche und Anfragen hierzu habe es auch bereits gegeben, Verhandlungen laufen, bestätigt sie auf Nachfrage. Sollte die Entscheidung für Amazon positiv ausfallen, soll dies auch positiven Einfluss auf weitere Interessenten nehmen.
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