Die Northeimer Fußgängerzone ist für Menschen mit lockerem Schuhwerk oder Stöckelschuhen eine echte Herausforderung. Doch wie geht es eigentlich Menschen im Rollstuhl, die kurz etwas in der Stadt erledigen wollen? Räder, gefedert und sitzend – ist doch bestimmt toll. Haha. Nein. Weit gefehlt.
Klar ist es einfach, jemanden zu Fragen, der dies täglich erlebt. Aber selber? Schließlich wünscht sich niemand, im Rollstuhl sitzen zu müssen. Es für einen Selbstversuch zu wagen ist also gleichzeitig herausfordernd und zweifelhaft. Aber der einzige Weg, es wirklich zu verstehen.
Aber erstmal nachfragen. Zum Beispiel bei Monika Nölting. Sie ist Teil des Northeimer Beirates für Menschen mit Behinderungen und sitzt seit vielen Jahren im Rollstuhl. Seit 2000 lebt Sie in Northeim und engagiert sich für Menschen mit Behinderungen. Sie baten wir um Unterstützung – und holten uns erstmal moralische Erlaubnis .
Denn die Frage steht im Raum: Ist es eine Beleidigung für Menschen mit Behinderungen, wenn man sich als sonst gesunder Mensch in einen Rollstuhl setzt? „Nein. Es geht ja darum, dass Sie nachvollziehen können“, sagt Nölting – und bietet ihren Ersatzrollstuhl an. Die ersten Fahrversuche sorgen für viel, naja, „Erheiterung“.
Ich drehe eine Übungsrunde. Es gibt Einstellungen für das Tempo, Blinker und eine niedliche Hupe. Der Steuerhebel braucht Feingefühl und Übung. Wer weiß, wie eine Playstation funktioniert, ist klar im Vorteil. Der Rest hat wohl Pech gehabt. Los geht es an der Wallstraße, ganz in der Nähe des alten Krankenhausgeländes. Ziel: Die Innenstadt. Dort ist es voll: es ist das Wochenende mit Frühlingserwachen und Stadtgeburtstag.
Schon der Start der Reise erweist sich als schwierig. Die Aufgabe: Seitenwechsel. Es ist zwar Sonntag und der Verkehr ist kein Problem. Die Bordsteinkanten sind allerdings ziemlich hoch – die Überfahrt schüttelt ganz schön durch.
Was als Fußgänger kaum auffällt, ist im Rollstuhl ein echtes Problem. Beine federn ab, können umgehen oder übersteigen. Ein 200-Kilo schwerer Rollstuhl nicht. Klar: die Gummiräder dämpfen etwas ab. Aber wirklich helfen tut dies nicht. „Sie können ja davon ausgehen, dass Menschen, die im Rollstuhl sitzen, eh schon Probleme mit dem Rücken haben“, kommentiert Monika Nölting die ruppige Fahrt.
Wer im Rollstuhl unterwegs ist, muss seine Augen überall haben. Auf den Boden, auf den Verkehr, auf die Fußgänger und am besten noch um die nächste Ecker herum. Wer an eine entspannte Fahrt denkt, der irrt. Ein Rollstuhlfahrer kann nicht eben zu Seite springen oder spontan reagieren. Alles muss vorausschauend bedacht werden.
Was übrig bleibt, sind nur noch die bösen Blicke der Fußgänger. Genau. Klar: die meisten zeigen Verständnis für die Situation und bemerken den Menschen im 200-Kilo-Rollstuhl. Ein Grund, Platz zu machen oder selbst vorausschauend zu reagieren, ist dies aber nicht. Im Gegenteil.
Deutlich wird dies, als unsere Probefahrt in der City ankommt. Es ist Wochenende; Frühlingserwachen und bestes Wetter. Die Innenstadt ist voll. Die Fahrt gleicht einer Slalom-Rally. Kinder werden herangezogen, die Blicke wirken überrascht.
Wir wollen an einem Stand etwas kaufen. Süßigkeiten. Der Verkäufer ist seht nett und streckt sich über die Warenauslage. Und das ist auch nötig, denn der Abstand ist zu groß. An der Rinne des Kopfsteinpflasters ist es nicht möglich, ordentlich zu rangieren. Sich quer an den Tresen „parken“? Geht nicht. Unsere Bestellung bekommen wir trotzdem.
Ein Fischbrötchen bekommen wir nur, weil die nette Dame aus ihrem Verkaufswagen steigt. Der Tresen ist viel zu hoch für uns. Auch an den Restaurants im Citycenter fahren wir vorbei. Nur wenige sind auf Besucher im Rollstuhl eingestellt, und selbst dann fühlt es sich komisch an. Denn mit dem 200-Kilo-Wagen blockieren wir wichtige Wege. Alles sind nett. Mir ist es peinlich.
Im zweiten Teil erzählen wir wie es ist, als Rollstuhlfahrer in der City mal dringend auf die Toilette zu müssen. Und gibt es eigentlich einen Rollstuhlführerschein? Am Ende fahren wir ein kleines Rennen. Seid gespannt!