Paul Garbulski hat früher lieber Blutgrätschen verteilt als Satzzeichen gesetzt. Heute zählt er zu den spannendsten literarischen Newcomern des Landes. Mit seinem Debüt „Punch“ wurde er vom Hotlist-Kuratorium unter die 30 besten Bücher des Jahres gewählt. Darin beschreibt er eine Geschichte aus dem Zelt des Jahrmarktsboxens, geschrieben mit der Präzision eines Reporters und der Wucht eines rechten Hakens. Bei Kaffee und belegten Brötchen sprechen wir über Blutgrätschen, Bierfässer und 240 Seiten Hoffnung.

Schreiben!

Paul glaubt nicht an die romantische Vorstellung vom Schriftsteller, der auf die Muse wartet. „Diese Idee von: Ich bin Schriftsteller und warte auf Muße und sitze mit meinem Rioja an der Schreibmaschine und rauche meine Zigarette im Dämmerlicht – das ist Bullshit“, sagt er. Für ihn ist Schreiben kein geheimnisvoller Moment, sondern echtes Handwerk. Man müsse, so Garbulski, „schreiben, schreiben, schreiben“. Und das tat er – auch, weil ein ehemaliger Lehrer den Funken entfachte.

Garbulskis Wurzeln liegen in Northeim. Er beschreibt die Stadt als eine Art Speicher, in dem sich Stimmen, Gesichter und Stimmungen lagern. „Ich bin jemand, der in beiden Welten beheimatet ist“, sagt er. Gemeint ist der Blick eines Menschen, der einerseits bodenständig aufgewachsen ist und andererseits die Zwischentöne anderer Milieus lesen kann. Auf dem Wirtschaftsgymnasium war es Peter Fiebag, der ihn zum Schreiben ermutigte. Statt BWL studierte er Philosophie und Soziologie in Tübingen. „Ich habe diese Studienzeit genutzt, um so viel wie möglich zu lesen. In Tübingen waren die großen Philosophen – da musste ich auch hin.“

Direkt nach dem Studium schaffte er es in Berlin Fuß zu fassen. Zunächst als freier Journalist, dann als Autor für das Vice-Magazin. In der Online-Redaktion war neben den Inhalten auch das Tempo gefragt: Die Storys galt es schnell zu recherchieren und ebenso schnell abzuliefern. Kein Platz für Selbstzweifel oder lange Anläufe. „Du musst einfach funktionieren“, fasst er diese Zeit zusammen. Die Routine, jeden Tag mit einer leeren Seite zu beginnen, hat ihm später geholfen, Romane zu schreiben.

Ein Volltreffer

„Punch“ ist Garbulskis Debütroman. Damit er hat es direkt unter die Top-Kandidaten des Hotlist- Preises geschafft. Und der Titel ist Programm. Ein Punch ist ein Schlag, kurz, hart und präzise. Im Roman steht er für den Kampf ums Überleben, für den Versuch, Würde zu bewahren. Die Handlung spielt im Milieu des Jahrmarktsboxens. Garbulski beschreibt diese Welt mit der Präzision eines Reporters: „Das hat wehgetan. So richtig. Sein Gegner weiß, was er tut. Für gewöhnlich ist die Hälfte aller Herausforderer betrunken. Der Rest unterschätzt die Gefahr, überschätzt sich selbst oder will dem eigenen Anhang imponieren.“

In „Punch“ sind die Kämpfe im Zelt mehr als Sport. Sie sind Verhandlungen über Respekt. Der Rummel drumherum ist dabei kein Hintergrundrauschen, sondern Teil der Erzählung. Garbulski schreibt über „eine warme Karamellbrise“, über die Kräuterbutter einer Pilzpfanne, die gegen den Duft gebrannter Mandeln antritt, und über „Hunderte Lichter“ in einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Er beschreibt Stimmen aus Lautsprechern, „viel zu hochgepitscht und nasal, als hätten sich Zwerge nach ein paar Zügen Helium an Mikrofone gesetzt“.

Seine Figuren bewegen sich durch diese Kulisse, ohne den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Dima, einer der Boxer, denkt über den Rummel: „Wo sonst kann man ins Zelt gehen, Menschen verprügeln, Geld und Applaus dafür kassieren? … Dort, genau dort lassen sich mit Schaufeln voll Buntheit unsere Sorgen begraben.“

Genug vom Tempo

Garbulskis Figuren wirken, weil er aus eigener Anschauung schreibt. „Egal wie groß dein Talent ist – wenn du ein Thema anpackst, in dem du dich wirklich auskennst, wird der Roman besser“, sagt er. Schon bei Vice habe er nicht nach der glatten Geschichte gesucht, sondern nach dem rauen Kern. Er spricht mit Punks und Obdachlosen, sitzt mit ihnen zusammen und will verstehen, wie sie fühlen.

Irgendwann brennt er aus, hat genug vom Tempo. Zürich wird seine neue Heimat. Dort schreibt er oft spät in der Nacht und mindesten so lange, bis er auf eine Seite pro Tag gekommen ist: „Wenn du eine Seite jeden Tag schreibst, hast du in einem Jahr einen ganzen Roman.“ Für „Punch“ arbeitete er zwischen Schichten in körperlich fordernden Jobs. „Ich war körperlich manchmal total kaputt, aber geistig immer noch da.“

Zürich empfindet er als „viel intimer als Berlin“, obwohl es auch eine Großstadt ist. Freunde überzeugten ihn, dass die Stadt ideal für das Leben sei, das er gewählt hatte: tagsüber arbeiten, nachts schreiben. Die höheren Löhne bedeuteten für ihn, dass „am Ende einfach mehr übrig bleibt“.

Er wird zum Abendleiter und Barchef in der Gastro, lernt Menschen kennen, fühlt sich inspiriert. „Ziel war nicht das Geld. Ich wollte immer nur so viel arbeiten, dass ich meinen Lebensunterhalt verdiene und dann nachts oder morgens oder wann auch immer schreiben konnte.“ Zürich bot ihm dafür eine stabile Grundlage und ein Umfeld, in dem seine Kreativität leichter „florieren“ konnte. Paul Garbulski schreibt so gerne, weil es für ihn kein bloßes Hobby oder romantisches Künstlerbild ist, sondern eine notwendige Ausdrucksform und handwerkliche Aufgabe. Er hat sich bewusst von der Vorstellung verabschiedet, auf Inspiration zu warten. Für ihn ist Schreiben Arbeit, die Disziplin und Ausdauer erfordert: „Du musst viel lesen und du musst vor allem schreiben. Du musst schreiben, schreiben, schreiben.“

Seine Motivation kommt auch daher, dass er im Schreiben beide Welten verbinden kann, in denen er sich bewegt: die intellektuelle aus seinem Studium in Philosophie und Literatur und die praktische, raue Welt seiner Jobs und Alltagsbeobachtungen. Er sagt selbst, dass seine Literatur davon lebt, dass sie aus eigener Erfahrung entsteht – er schreibt über das, was er kennt, und nicht über Modethemen.

Und jetzt?

Dazu kommt, dass Schreiben für ihn eine Form der Selbstverortung ist. Er hat diesen Drang schon lange gespürt und empfindet es als befriedigend, komplexe Gedanken oder Beobachtungen in eine klare, verdichtete Sprache zu bringen. Es ist für ihn ein Weg, das Leben, das er kennt, festzuhalten, zu reflektieren und in Geschichten zu verwandeln, die für andere erlebbar werden.

Er schreibt Texte und Geschichten, Figuren und Romane. Tausend Seiten lang bewirbt er sich bei Verlagen. „Punch“ ist sein Debüt und erschien in einem kleineren Hamburger Verlag. „Jetzt fängt die eigentliche Arbeit erst an“, habe ihm der Verleger vor ein paar Wochen gesagt. Sichtbarkeit sei das nächste Ziel. Garbulski sieht den Platz auf der Hotlist als Chance, weitere Manuskripte zu veröffentlichen und sich als Autor zu etablieren.

Zunächst aber gilt die volle Aufmerksamkeit „Punch“ – er hat sein ganzes Herz in diesen einen Schlag gelegt. „Es geht mir nicht darum, den Buchpreis zu gewinnen. Aber wenn der Roman ein bisschen Momentum bekommt, weiß ich, dass es damals die richtige Entscheidung war, Autor zu werden.“

Übrigens: Der Hotlist-Preis hat einen Publikums-Anteil. Hier kannst du abstimme. 

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein