Wir sind mit einem Rollstuhl durch die northeimer Innenstadt gefahren und haben unsere Eindrücke gesammelt. Diese waren allerdings so zahlreich, das wir uns entschlossen haben, die Reportage in zwei Teile aufzuteilen. Diesmal gehen wir wirklich an unsere Grenzen.
Es ist das Frühlingserwachen-Wochenende. Die Innenstadt ist voll und mittendrin Monika Nölting vom Beirat für Menschen mit Behinderungen zusammen mit Northeim-jetzt Redakteur Christian Vogelbein. Sie ist täglich auf den Rollstuhl angewiesen, er nicht: will aber wissen, welchen Situationen Menschen mit Gehbehinderungen in Northeim ausgesetzt werden.
Der Selbstversuch führt uns im zweiten Teil vorbei an Menschenmengen und herabsetzende Blicke, hinein ins fast leere CityCenter. Dort haben die meisten Geschäfte an diesem Sonntag geschlossen, die meisten Besucher nutzen das gute Wetter für etwas Sonne und Vitamin B. Kalt ist es eigentlich nicht. Rollstuhlfahrer frieren trotzdem. „Man bewegt sich nicht wirklich viel und der Fahrtwind zieht an den Beinen entlang“, erzählt Monika Nölting. Krankheit Nr. 1 unter Rollstuhlfahrern: Blasenentzündung.
Im CityCenter ist es schön warm. Die Blase drückt trotzdem. Also stellt Monika Nölting die nächste Aufgabe: ein behindertengerechtes WC finden (!) und benutzen (?). Dieses befindet sich, so viel verrät sie vorab, im CityCenter. Wir folgen den „Schildern“.
Look up
Diese sind an der Decke angebracht. Für Fußgänger genau richtig, die sich gerne einmal umsehen. Rollstuhlfahrer agieren aber anders. Das merke ich selbst, und das erklärt auch Monika Nölting. „Wir schauen vor allem auf den Boden vor uns um zu sehen, wo wir hinfahren und welche Hindernisse auf uns warten.“ Zeichen an der Decke werden also nur selten erkannt. Deshalb sind die ersten Meter für mich auch eine Irrfahrt.
Die Schilder sind mit Pfeilen versehen. Zunächst fahre ich eine Runde um alle Schilder herum – unter großem Gelächter von Monika Nölting. Es stellt sich heraus: Das behindertengerechte WC befindet sich in der ersten Etage. !
Als Rollstuhlfahrer ist der einzige Weg dorthin der Fahrstuhl. Der ist zwar hübsch und schnell, mit einem so großen Fahrzeug aber auch ziemlich eng. Als jemand, der noch ungeübt ist mit dem Gefährt, eine echte Herausforderung. Einfahren ist Präzisionsarbeit. Im Fahrstuhl selbst kein Hinweis auf das behindertengerechte WC.
Bevor ich es schaffe, nach Ankunft im 1. Stockwerk wieder aus dem Fahrstuhl zu manövrieren, schließen die Türen bereits wieder und der Fahrstuhl setzt seine Fahrt nach unten fort. Dort erwartet mich Monika Nölting – herzhaft lachend. „Da musst Du schneller sein“. Also nochmal.
Come down
Schnell sein bedeutet dann auch Rempeln und Schütteln. Kaputt ist nichts gegangen. Im 1. Stock angekommen heißt es wieder: den Schildern folgen. Und eine große Tür öffnen. Ganz unelektrisch, ganz ohne Hilfe. Auf dem Weg zum WC warten genau drei schwere Sicherheits- und Brandschutztüren, die sich nur aus dem Rollstuhl heraus mit Muskelkraft öffnen lassen. Die Gänge und Wege sind dunkel und verwinkelt. An einer Tür liegt sogar ein großer Teppich, an dem sich die Rollstuhlräder wundreiben.
An dieser Stelle habe ich noch nicht erwähnt, dass zwei der Türen abgeschlossen sind. Die Schlüssen liegen in gekennzeichneten Geschäften aus. Bevor Menschen im Rollstuhl also zur Toilette gehen können, müssen sie nach dem Schlüssel fragen. Ich finde das demütigend. Immerhin: Es gibt, auch in diesem Fall, den Euroschlüssel.
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Die letzte Tür zum WC ist ebenfalls groß und schwer. Das WC selbst dunkel, aber sauber. Klar: wer nutzt das schon. Es ist mühselig und aufreibend. Und normalerweise drückt dabei die ganze Zeit die Blase oder der Darm. Das Management des CityCenters ist hier aber kein direkter Vorwurf zu machen. Die Bauweise des alten Betonblocks gibt derzeit einfach nicht mehr her. Einfacher machen es die lange Wege trotzdem nicht.
Ungemütlich
Die Gefühle, die wir im Anschluss an diese Reise mitnehmen, sind durchwachsen. Monika Nölting freut sich über den erweiterten Horizont des Reporters. Und der? Fühlt sich ein Stück weit mit schuldig. Als gesund Gehender fehlte mir bisher der Blick und das Gefühl für die Situation und die Not, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein.
[…] Im Rollstuhl durch Northeim – ein Selbstversuch Teil 2 […]