#Angedacht ist die Kolumne von Pastor Jens Gillner aus der Corvinus-Gemeinde in Northeim.

Facebook

Mit dem Laden des Beitrags akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Facebook.
Mehr erfahren

Beitrag laden

Heute: Ist da jemand?

Stimme im Kopf

Gott spricht. Diese beiden Worte gehen mir seit Tagen durch den Kopf. Ausnahmezustand in Deutschland, Europa, ja in der ganzen Welt. Notstände werden ausgerufen. Es wird enorm viel gesprochen in diesen Tagen. Experten warnen eindringlich. Regierungs- und Länderchefs beraten. Nachrichten überrennen sich. Seelsorger beruhigen. Spötter und Besserwisser tun das, was sie immer tun – spotten und alles besser wissen.

Gott spricht. In einem meiner liebsten Choräle aus dem Gesangbuch (Eg 392) heißt es:
Gott rufet noch. Sollt ich nicht endlich hören?
Wie lass ich mich bezaubern und betören!
Die kurze Freud, die kurze Zeit vergeht,
und meine Seel noch so gefährlich steht.
Aber was will Gott uns zurufen? Und ist da jemand, der ihn hört?

Schon lange lebe ich unter dem Eindruck, dass die „Welt Kopf steht“, nach dem Motto: Jeder für sich und mir das meiste. Der stetig wachsende Wunsch nach Abgrenzung (und Ausgrenzung), Aufkündigung internationaler Zusammenarbeit, Drohgebärden und Machtgehabe auf höchsten Ebenen einerseits, aber auch die unzähligen, hochkomplexen Probleme wie Klimaschutz, Gesundheitswesen, Migrationspolitik andererseits machen mir große Sorgen.

Umfassende Lösungen sind weit und breit nicht in Sicht. Wie sich unser Verhalten auf die Gesellschaft auswirkt, welche Konsequenzen politische und wirtschaftliche Entscheidungen für unser Zusammenleben haben – solche Fragen schienen irgendwie kaum noch gestellt zu werden. Kaum ein Tag, wo ich mich nicht an den Kopf gefasst und gedacht habe: Das kann doch jetzt alles nicht wahr sein!

Zeit, sich zu besinnen.

Nun kommt es in unserem Land, ja weltweit zu einem Stillstand, den wir so bisher noch nicht erlebt haben. Plötzlich können wir in den Osterferien nicht mehr in den Urlaub fahren oder fliegen. Selbstverständlichkeiten wie Arzt- oder Restaurantbesuche, Behördengänge, Familienfeiern – auch Gottesdienste – müssen unterbleiben. Kindergärten und Schulen sind geschlossen. Unternehmen müssen ihre Produktion einstellen. Die EM soll verschoben werden. Stattdessen gilt der dringende Aufruf an alle, möglichst zu Hause zu bleiben.

Das und noch vieles mehr schränkt uns im Alltag gerade spürbar ein. Aber wir haben dadurch auch etwas sehr Wertvolles gewonnen: Zeit. Zeit, die wir uns sonst nicht nehmen würden. Und es ist schon irgendwie auch ein Fingerzeig, dass gerade jetzt in der Passions- und Fastenzeit alles irgendwie zum Erliegen kommt. In den Adventstagen haben wir uns das vielleicht gelegentlich gewünscht: Besinnliche Zeit, Zeit zum Innehalten, zum Nachdenken. Und doch wurde diese „Zeit der Einkehr“ mal wieder völlig überlagert vom üblichen Weihnachtsstress und vom Klingelingeling der Glühweinbuden.

Jetzt wird uns wieder eine Einkehrzeit geschenkt, ja geradezu verordnet. Und wir kommen nicht drum herum, können uns nicht wieder mit irgendwelchen Freizeitaktivitäten ablenken. Wir stehen quasi vor uns selbst und können nicht mehr weglaufen. Jetzt kommt (hoffentlich mal) Ruhe in die Hitze der Gemüter. Und aus dem Abstand heraus können wir in und nach der Krise Dinge vielleicht anders betrachten und bewerten, als wir es bisher getan haben. Was ist wirklich wichtig für unser Leben? Worauf können wir eigentlich gut und gern verzichten, weil wir es in Zeiten der Not auch nicht gebraucht bzw. vermisst haben? Wo benötigen wir stabile und verlässliche Strukturen, in die wir auch wieder mehr investieren müssen? Was können wir getrost lassen, um dafür anderes intensiver zu betreiben? Wo können/müssen wir uns anders organisieren (und merken plötzlich: Das geht ja auch!).

Stille Hoffnung

Dass solche Fragen wieder in unser Bewusstsein kommen, das ist meine stille Hoffnung in diesen Zeiten und darin höre ich auch den Ruf Gottes. Und ganz nebenbei entwickeln sich gegenwärtig Nachbarschaftshilfen, wird auf allen Ebenen planvoll gehandelt und ziehen viele an einem Strang. Wir bringen vielerorts größeres Verständnis füreinander auf und lernen die Dinge wieder mehr zu schätzen, die sonst immer nur ganz selbstverständlich hingenommen wurden (z. B. auch dass Toilettenpapier und Nudeln immer in ausreichendem Maße vorhanden waren!).

Ob wir wirklich zur Besinnung kommen und auch über die Krise hinaus bereit sind, etwas in unserem Leben, in unserer Gesellschaft zu verändern? Wer weiß das schon. Aber Gott wird wieder zu uns sprechen. Und dann vielleicht noch deutlicher als jetzt…

Vorheriger ArtikelKreisfeuerwehr Northeim startet digitalen Übungsdienst
Nächster ArtikelStadt Northeim streicht alle Osterfeuer

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein