#Angedacht ist die Kolumne von Pastor Jens Gillner aus der Corvinus-Gemeinde in Northeim.
Greta Unbequem. Warum fürchtet sich die Welt vor einem 16-jährigen Mädchen?
Zielscheibe Greta
Eigentlich ist es nicht überraschend: Wer den Mund aufmacht, wird angefeindet. Im Fall Greta Thunberg nehmen die Angriffe allerdings mittlerweile widerliche Ausmaße an. Beleidigungen über ihr Aussehen, Witze über ihr Asperger-Syndrom und Todeswünsche durchziehen die sozialen Netzwerke. Selbst hochrangige Politiker feuern ohne Skrupel gegen sie, darunter die Staatschefs Donald Trump oder Wladimir Putin.
Einen traurigen Höhepunkt gab es kürzlich in Rom, als Unbekannte eine Greta-Puppe an einer Brücke mit einem Seil um den Hals aufgehängt haben. Über der Puppe hing außerdem ein Schild mit den Worten „Greta ist euer Gott“.Damit bekommt das Ganze eine religiöse Dimension. Denn der gefolterte und gekreuzigte Gottessohn ist ein zentrales Thema im Christentum. Doch auch ohne theologische Überhöhung wissen wir: Wer die Großen und die Gesellschaft, wer die politischen und sozialen Umstände kritisiert, muss mundtot gemacht werden, muss von der Bildfläche verschwinden.
Eine unendliche Geschichte
Jesus war zweifellos einer dieser unbequemen Kritiker. Vor ihm jedoch gab es zahlreiche Propheten, die ähnlich drangsaliert wurden. Davon berichtet das Alte Testament.Einer der ersten, von denen wir Kenntnis haben, ist Amos aus Tekoa, ein Ort etwa 18 km südlich von Jerusalem. Er arbeitete in der Landwirtschaft, gehörte also keineswegs zu irgendeiner einflussreichen Gruppe seiner Zeit. Sein Blick auf die Dinge ist unverstellt. Er lebte in der ersten Hälfte des 8. Jh. v. Chr. Außenpolitisch schien es in Israel zu dieser Zeit relativ ruhig gewesen sein. Im Inneren aber brodelte es offensichtlich. „Weh euch, ihr Sorglosen auf dem Berg Zion! Ihr Selbstsicheren auf dem Berg Samaria! Ihr Vornehmen Israels bei denen die Leute Rat und Hilfe suchen! Ihr meint das Unheil sei noch fern – dabei habt ihr ein System der Unterdrückung und Ausbeutung eingeführt. […] Ihr trinkt den Wein kübelweise und verwendet die kostbarsten Parfüme; aber dass euer Land in den Untergang treibt, lässt euch kalt“, so lautet eine grundlegende Anklage des Amos.
Der Prophet prangert gesellschaftliche Missstände an und fordert, dass die Großkopferten zur Besinnung kommen.Damit hat er sich viele Feinde gemacht. Wie lange ihm die offiziellen Staatsvertreter zugeschaut haben, bis sie ihn des Landes verwiesen, ist unklar. Seine Botschaft hat jedoch bis heute seine Aktualität behalten, auch wenn sich seine Spur im Nichts verliert.
Der Bote geht, das Problem bleibt
Natürlich polarisiert Greta Thunberg mit ihren schonungslosen Forderungen und ihrer anklagenden Art. Sätze wie „Ich will, dass ihr in Panik geratet“ will nicht jeder hören. Man kann sie nervig finden, sich über die viele Berichterstattung zu ihrer Person aufregen oder sie inhaltlich kritisieren. Aber das Problem, auf das sie unermüdlich aufmerksam macht, wird bleiben. Ungelöst, wenn wir uns weiter nur mit Greta Thunberg befassen, anstatt uns über die Brisanz des Problems klar zu werden.
Ich frage mich, wovor die Thunberg-Feinde eigentlich Angst haben, dass sie mit übelsten Beschimpfungen und sogarTodeswünschen auf sie reagieren. Jedenfalls lehren mich die Fälle „Amos“ und „Jesus von Nazareth“: Propheten und Kritiker kommen und gehen. Man kann versuchen, sie und ihre Gefolgschaft auszuschalten. Und in den meisten Fällen gelingt das ja auch. Trotzdem bleiben die Probleme, auf die sie zeigen. An die soziale Ungleichheit haben wir uns mittlerweile schon gewöhnt und werden sie auch noch die nächsten 1000 Jahre mit uns herumschleppen. Die Notwendigkeit des Klimawandels hat nicht mehr so viel Zeit – egal ob mit oder ohne Greta.