Es heißt, Politik ist die Arbeit an einem Kompromisse, an dessen Ende beide Seiten verlieren. Ein zähes Ringen um Meinungen, um Mehrheiten und um Entscheidungen. Politik ist Gespräch und Dialog. Doch in den Ratsstuben und Hinterzimmern, den Lokalen und Kneipen bleiben die Stammtische im vergangenen Jahr leer. Wo sonst die großen Politik der Stadt gemacht wird, blieb es erst leer und ist nun ein Impfzentrum voller Hoffnung zu finden. Wie geht es weiter mit einer Stadt wie Northeim, die schon vor Corona schwer zu atmen hatte? Wohin mit den tollen Ideen: Innenstadtsanierung, Schuhwallhalle, Konsum und Kapital? Und wie funktioniert lokalpolitische Arbeit ohne Dialog?
Und jetzt?
Und plötzlich stand die Welt ein kleines bisschen Still. Anfang März kommt die Corona-Pandemie auch nach Deutschland. Nach Niedersachsen. Nach Northeim. Nicht mit einem Husten, nicht mit hohem Fieber – sondern mit geschlossenen Geschäften, mit Gesichtsmasken und kichernder Unsicherheit. Keine Gottesdienste mehr, kein Osterspaziergang und keine Pizza im Restaurant.
Das Kichern verschwindet, die Unsicherheit bleibt. „Und jetzt?“, fragen sich die wenigen Unternehmer und Geschäftsleute der Rhumestadt, die vorher nicht schon die grassierende Ödnis der vergangenen Jahr in die Insolvenz oder nach Einbeck trieb. Eine Antwort gab es nicht: nicht aus Berlin, nicht aus Hannover und schon gar nicht aus den Stuben der Ratsherren und -Frauen. Denn auch die Basis fragte sich: „Und jetzt?“
Schwieriger Kontakt
Als es im Frühjahr auch in Northeim mit den ersten Corona-Konsequenzen losgeht, gewöhnen sich die ersten weitsichtigen Geschäftsleute an ein Gefühl, das so ähnlich ist wie Verzweiflung. Mittlerweile ist fast ein Jahr seit dem Start der Pandemie vergangen. Sitzungen fanden unter Hygienemaßnahmen statt, Entscheidungen wurden getroffen – oder nicht. Trotz Abstand und Pandemie ein Jahr mit „wichtigen Themen“, wie es aus den Kreisen der Ratspolitik heißt. Zum Start des neuen Jahres – dem Superwahljahr 2021 – haben wir nachgefragt bei Stadt- und Kreispolitik. Wir wollten wissen, wie sich Politik machen lässt, ganze ohne echten Kontakt zum Wähler und zu den Bürgerinnen und Bürgern. Die Regel: Nachgefragt wird nur digital!
Bei der Stadt-SPD antwortete auch nach anderthalb Wochen und drei Kontaktversuchen niemand. Gleiches bei den Grünen. Andere antworten sofort, manche nur widerwillig. Digital ist und bleibt Neuland, das nun mit aller Macht ergründet werden muss. Mal mehr, mal weniger gut, wie die Parteien selbst sagen. Oder eben gar nicht. Ohne ihre Marktstände und selbst ohne ihre Presseartikel bleiben Parteien und Politik wenig sichtbar.
Das sagt die FDP
Für die freien Demokraten zieht Ratsmitglied Eckhard Ilsemann ein durchwachsenes Fazit. Trotz Corona war es möglich, auch persönlich Kontakt zu halten, sei es via Video oder Telefon. Dabei begleitete die Partei „viele Sitzungen mit mäßig sichtbarem Erfolg“, so Ilsemann. Zumindest in den Ortschaften ließ sich aber viel bewegen. In Bishausen, Bühle und Sudheim zum Beispiel, „wo die FDP als einzige Partei sich erfolgreich eingebracht hat und die Errichtung von Windenergieanlagen in diesem Bereich verhindert hat“, so Ilsemann.
Die bisherigen Einschränkungen haben er und seine Parteikollegen bisher hingenommen „und haben keinen negativen Einfluss“ auf die Parteiarbeit. Zudem gab es Unterstützung von Bundes- und Landesebene: „Konstantin Kuhle und Christian Grascha waren beide jederzeit bereit, zu helfen“, sagt Ilsemann.
Das sagt die AfD
Als einer der ersten meldet sich Maik Schmitz von der Northeimer AfD mit einer Einschätzung zurück. Die politische Arbeit selbst sei durch Corona nur durch die jeweiligen Vorgaben und Verordnungen eingeschränkt, ging aber „inhaltlich wie immer weiter“. Die persönlichen Treffen wurden aufgrund der „unverhältnismäßigen Maßnahmen“ auf Telefonate und Emails beschränkt. In sozialen Medien ist die Partei weiterhin aktiv gewesen, doch auch „den guten alten Brief“ hätten die Kameraden gern für die inhaltliche Arbeit genutzt.
Apropos Inhalt: die bestand vor allem darin, erst das Absetzen der Masken zu fordern und wenig später dazu zu drängen, alle Geschäfte wieder zu öffnen. Doch vor allem vor der Haustür gab es wichtige Themen. Und die Bilanz kann sich sehen lassen.
„Zu den wichtigsten Themen gehörten zweifelsfrei die Ansiedelung von Amazon, welche wir als AfD nicht begrüßen, sowie natürlich das Thema Windkraft oder auch auf kommunaler Ebene das Thema Corona mit den Folgen für die heimische Wirtschaft/Handel“, sagt Schmitz. Die Gebührenfreiheit der Außenbestuhlung für Gastronomen ging auf einen Antrag seiner Partei zurück.
„Auch haben wir bereits zum 2 Male einen Antrag gestellt Ratssitzungen per Live Übertragung an die Bürger zu übermitteln, hier haben sich leider (noch) keine Mehrheit gefunden“, so Schmitz. Die Erkenntnis? „Dass es enorm wichtig ist einen direkten Draht zum Bürger zu bekommen. Eine Aufklärungsarbeit zu leisten und vor allem muss viel mehr Transparenz geschaffen werden, der Bürger muss mehr Beteiligung bekommen.“
Das sagt der Bundestag
Auf Bundesebene sitzt mit Dr. Roy Kühne ein CDU-Politiker aus der Region nicht nur am Bundestag, sondern ist eng mit den Gesundheitsthemen verknüpft. „2020 hat uns gezeigt, wo die digitalen Schwachstellen sind, aber ich bin auch positiv überrascht, wie viel digital möglich ist“, sagt Kühne zu seiner Arbeit während der Corona-Pandemie.
Dabei habe er versucht, auch weiterhin den Kontakt zu den Menschen in der Region aufrechtzuerhalten. Mit einem Fragebogen für Schulen, Therapieeinrichtungen und Unternehmen hat Kühne im vergangenen Jahr außerdem die coronabedingte „Ist-Situation“ abgefragt und diese Kenntnisse mit in die politische Diskussion nach Berlin genommen.
Unter anderem hat er zusammen mit seinem Büro auch die Aktion „Die kleinste Bühne Northeims“ ins Leben gerufen, um regionale Künstler zu unterstützen. Zudem startet er eine digitale Sprechstunde per Videokonferenz. Auch bei Podiumsdiskussionen, die für den Gesundheitspolitiker immer wieder auf der Tagesordnung stehen, gab es in 2020 keine Probleme. „Die Veranstalter haben auf digitale Plattformen umgeschwenkt. Das hat gut geklappt.“
Das sagt die FUL
Für Armin Töpperwien, der für die FUL im Northeimer Rat sitzt, war der Start der Pandemie vor allem durch Unsicherheit geprägt. Trotzdem standen wichtige Themen an: Die Bebauungspläne für das Industriegebiet West und den südlichen Wieter lagen auf den Rats-Schreibtischen. Die „sachliche, zielorientierte und wertschätzende Zusammenarbeit in weiten Teilen des Rates“ seien ihm aber positiv in Erinnerung geblieben.
Vor allem zu Beginn des Lockdowns hat auch die FUL viel Kontaktarbeit auf das Telefon und Emails beschränkt, erst zum Ende des Jahres waren Sitzungen und Besprechungen wieder möglich. Doch insbesondere diese Situation setzte die Ratspolitiker seiner Meinung nach vermehrt unter Druck. Demnach bemerkte er 2eine gewisse Verzögerung von politischen Entscheidungen“. Beschlüsse hätten in der Folge ohne große Vorbereitung getroffen werden müssen.
Doch wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen sieht er in der Digitalisierung der Kommunikation eine Chance – allerdings „ergänzt durch persönliche Gespräche“. Eine Erkenntnis, die er uns seine Kollegen auch mit in das Wahljahr nehmen wollen.
Das sagt die CDU
Auch für die CDU im Kreis war die Umstellung auf Online-Meetings zu Beginn der Pandemie einer der größten Herausforderungen. Im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern blieben Corona und die Folgen der Pandemie die zentralen Fragen. Zudem mussten wichtige Entscheidungen getroffen werden: Mit Roy Kühne sendet die Partei erneut ihren Kandidaten in die Bundestagswahl im September 2021.
Mit einer Videoserie besuchten die Christdemokraten im Landkreis Gastronomen und fragen sie nach ihrer Situation. Aus der Krise nimmt der Kreisverband die Chance mit, Parteiarbeit moderner und schlanker zu gestalten. „Anstatt lange Fahrten durch den Landkreis zu unternehmen können wir heute effektiv von zu Hause Politik machen“, beschreibt die CDU Kreisvorsitzende Kerstin Lorentsen die Arbeit ihrer Partei während Corona.
Auch bei der Northeimer Stadt-CDU „mussten wir uns (…) erst einmal mit den technischen Voraussetzungen vertraut machen“, sagt Reta Fromme. Denn statt Treffen und Sitzungen gab es jetzt Telefon- und Videokonferenzen. Das erste Fazit: „Allgemein ist aber festzustellen, dass der Meinungsaustausch in Präsenz deutlich lockerer und vielfältiger ist.“
Vor allem beim Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern taten sich die Christdemokraten aber erst schwer. „Das klappt nur durch eine größere Aufteilung auf verschiedene Kontaktpersonen und verschiedene Medien. Whatsapp und Facebook sind sicherlich Wege für bestimmte Gruppen aber eben nicht für alle“, so Fromme.
Doch die Folgen sind Positiv: „Die Pandemie hat den Weg zu den digitalen Angeboten geebnet, das wird auch in der Zeit danach nicht wieder verschwinden. Für unsere politische Arbeit bedeutet das, dass wir die verschiedenen Medien stärker in den Fokus nehmen müssen.“
Das sagt die SPD (Kreis Northeim)
Während die Stadt-SPD als eine der größten Parteien in der Region nicht erreichbar war, meldete sich Peter Traupe auf Kreisebene zum Thema. Als Geschäftsführer der Kreistagsfraktion bemerkte er vor allem einen Einfluss auf die Diskussionsqualität. „Die klassische politische Arbeit findet traditionell im Diskurs statt, in Rede und Gegenrede von Angesicht zu Angesicht. Diese Prozesse mussten zeitweise auf die digitale Ebene verlegt werden, und die beschriebene Qualitätsveränderung hatte auch etwas mit der bei den einzelnen Teilnehmenden vorhandenen Datenleitung zu tun“, so Traupe.
Darunter litt auch der Kontakt zu Menschen und Medien, folgert der Sozialdemokrat. „Aufgrund der Kontaktbeschränkungen war nicht wie üblich auch ein umfassender Austausch im Gespräch mit den Menschen in unserem Landkreis und den Mitgliedern und Gliederungen der SPD möglich“, sagt Traupe und verweist auf die Homepage der Kreistagsfraktion.
Die wichtigste Erkenntnis? „Wir müssen die Digitalisierung noch schneller zu einem Ergebnis bringen. Die digitale Qualität von Videokonferenzen muss durch zügigen Breitbandausbau und mit einem leistungsfähigen 5G-Netz gesteigert werden. Bürgerdienste der Kommunalverwaltungen müssen digital erreichbar sein.“ Doch das Internet alleine reicht nicht. „Wir dürfen auch die Menschen ohne Zugang zum Internet nicht aus den Augen verlieren. Der Fürsorgegedanke muss gewährleisten, dass auch ihre Interessen und Bedürfnisse befriedigt werden.“
Denn: „Unser wichtigstes Anliegen resultiert aus der Pandemie: Es darf niemand und nichts auf der Strecke bleiben. Wirtschaft, Vereine und Verbände, Verkehrsunternehmen brauchen politische Unterstützung, damit es sie auch künftig gibt“, so Traupe abschließend.
Und im Rathaus?
Zum Start der Pandemie schlossen sich auch die Türen zum Northeimer Rathaus. Zum Schutz der Mitarbeitenden wurde ein Hygienekonzept ausgearbeitet, Einbahnstraßen auf den Gängen eingerichtet und Desinfektionsmittel aufgestellt. Viele wurden außerdem ins Homeoffice geschickt. Die Mitarbeitenden im Rathaus selbst seien mit der Situation „sehr pragmatisch“ umgegangen, sagt der Bürgermeister Simon Hartmann. „Es besteht eine hohe Motivation, das Tagesgeschäft auch unter den besonderen Bedingungen gut zu bewältigen.“ Dabei stand immer der Schutz der Mitarbeiter vor einer Ansteckung im Mittelpunkt der Bemühungen. „Ich bin sehr froh, dass wir bis heute keine Infektion unter den Beschäftigten zu verzeichnen haben. Der „Konzern Stadt“ mit all seinen Aufgaben hat nicht stillgestanden.“
Für den Verwaltungschef ist das Thema Corona auf mehreren Ebenen fordernd. „Als Bürgermeister umtreiben mich die Sorgen der Eltern hinsichtlich der Betreuung ihrer Kinder, die vielfältigen Fragen der Beschäftigten in unseren Kitas und den Schulen, die Existenzangst von Gewerbetreibenden, Kulturschaffenden und die Sorge um den Arbeitsplatz sehr.“
Nach eigenen Angaben bestand immer ein offener Dialog rund um alle Maßnahmen. „Mein Antrieb ist es, Northeim zukunftsfest zu machen und zu zeigen, es lohnt sich, hier zu leben und sich einzubringen.“ Mit dem Impfzentrum in der Northeimer Stadthalle habe die Verwaltung ein „aktiver Beitrag“ auf dem Weg zurück zur Normalität. Aber „der Weg zur Normalität ist noch weit und es wird auch Rückschläge geben. Die anderen Themen verlieren aber nicht an Wichtigkeit, im Gegenteil. Und der Anspruch der Stadtverwaltung ist es, neben der großen Herausforderung der Pandemie-Bekämpfung auch die anderen Projekte und Maßnahmen konsequent voranzubringen.“
Zudem hat Hartmann schon im Frühjahr 2020 einen eigenen Corona-Stab ins Leben gerufen und stand im ständigen Austausch mit dem Landkreis. „Ich bin dem gesamten Team der Stadtverwaltung für die großartige Arbeit auch in den letzten Monaten sehr dankbar. Der Bevölkerung bin ich sehr für die große Geduld und das Pflichtbewusstsein dankbar“, so Hartmann.
Trotzdem gehe das Tagesgeschäft weiter, auch wenn Corona dieses „durcheinandergewirbelt hat“, so Hartmann. Schuhwallhalle, Industriegebiet West und die Investitionen in Schulen, die Innenstadt oder die Zukunft des Münsterplatzes seine nicht einfach von der Tagesordnung verschwunden. „Wir gehen unseren Weg der großen Zukunftsinvestitionen konsequent weiter. In den nächsten Jahren wird die Stadt Northeim im Schnitt über zehn Millionen Euro jährlich in Infrastrukturmaßnahmen investieren. Ich bin dem Rat sehr dankbar, dass er diesen Kurs trägt und unterstützt.“ Hartmann weiß aber auch: „Die Folgen der Corona-Pandemie werden uns weiterhin sehr herausfordern, volkswirtschaftlich, pädagogisch, finanziell, sozial.“