Der Geruch von verbranntem Holz und nassem Ruß liegt noch immer in der Luft, während Spaziergänger neugierig durch den Bauzaun auf die Lücke blicken, wo einst ein Fachwerkhaus stand. Das verheerende Feuer in der Silvesternacht hat nicht nur das Gebäude in der Hagenstraße zerstört, sondern auch das Leben vieler Menschen aus dem Haus selbst und den benachbarten Häusern aus der Bahn geworfen.
Ein Zuhause verloren
Mohamed Gucati, 26 Jahre alt, blickt mit gemischten Gefühlen auf die Trümmer. Er zeigt auf die Reste einer nun zerfetzten, blauen Tapete an einer freiliegenden Wand des Nachbarhauses. Vor vielen Jahren war dort einmal sein Kinderzimmer. Er selbst lebt und studiert mittlerweile in Hannover. Seine Mutter und die zwei jüngeren Geschwister waren bis zuletzt Mieter in dem Fachwerkhaus, das in der Silvesternacht und Neujahr Raub der Flammen und des Abrissbaggers wurde. Die Tapete hatte er als Teenager selbst blau angemalt, heute ist nichts mehr von seinem alten Zuhause übrig. „Meine Familie ist angeschlagen und musste in der Nacht alles zurücklassen. Jetzt sind sie bei meiner Schwester untergekommen“, sagt Mohamed.
Seit Vater lebte getrennt von der Mutter im Dachgeschoss, die kleine Familie darunter. Der Mann, zu dem Mohamed viele Jahre keinen Kontakt hatte, war bei den Nachbarn beliebt, galt aber als Sammler. Rettungskräfte hatten große Probleme, den Brand zu löschen, weil Räume und Gänge mit Unrat vollgestellt waren. Bereits vor dem Brand hatte die Familie den Vermieter auf Müll und Unrat im Gebäude hingewiesen – passiert sei jedoch nichts, meint Mohamed. „Das macht mich wütend. Vielleicht hätte man das verhindern können“, sagt er.
Großeinsatz, weil das Feuer nicht aus ging
Erst, als das Haus nach und nach mit einem Bagger abgetragen wurde, schafften es die Kräfte der Feuerwehr, den Brand nach fast 24 Stunden Einsatz zu löschen. Vom Besitz der Familien bleiben nur verkohlte Balken, geschmolzenes Plastik und Erinnerungen. Auch Dokumente und Papiere blieben in den Flammen zurück. Immerhin: Eine der vermissten Katzen wurde mittlerweile lebend gefunden – ein kleiner Trost für die Familie inmitten des Verlustes. „Eine weitere tröchtige Katze haben wir nicht gefunden. Ich hoffe, dass sie es noch heraus geschafft hat“, sagt Mohamed. Seine Mutter war in der Silvesternacht bei einer Freundin, auch die Kinder waren nicht zuhause. Nun suchen sie dringend nach einer neuen Wohnung. Und Spenden. Denn eine Hausratversicherung gab es nicht. Die Familie hat in dem Feuer alles verloren. Es bleibt nur das, was sie am Körper bei sich trugen.
Dabei gab es erst Verwirrung: Mohamed Gucati hatte zunächst einen PayPal Link in sozialen Netzwerken geteilt, um Spenden zu sammeln. „Ich habe das noch nie gemacht, und wurde direkt angefeindet“, berichtet er niedergeschlagen. Dabei wurde auch seine Familie in Misskredit gebracht. „Dabei können sie dafür wirklich nichts“, sagt er. Nach dem Brand hat die Familie auch zum Vater wieder Kontakt aufgenommen. So schlimm das Schicksal ihnen mitgespielt hat, halten sie nun zusammen und bitten um Hilfe.
Brandhaus zerstört, Nachbarhäuser beschädigt
Neben den Brandhaus wurden auch die Nachbarhäuser durch den Rauch und das Löschwasser stark beschädigt. Das Haus auf der linken Seite vor allem am Dach und den Wänden. Die Hauseigentümer auf der rechten Seite, ein Bestattungsinstitut und ein Drechslerstübchen, bitten um Rücksichtnahme und Zurückhaltung. Doch auch dort richtete das Feuer und das Löschwasser erheblichen Schaden an.
Nachbarn zwischen Dankbarkeit und Erschöpfung
Im zweiten Haus neben der Brandruine lebte bisher Anna-Lena Winterfeld mit ihrem Partner Patrick Lang und den drei Kindern. Die Brandnacht bleibt ihr noch immer lebhaft in Erinnerung. „Es ging alles so schnell“, sagt Winterfeld. Sie rief Polizei und Feuerwehr, nachdem erst eine Explosion zu hören und kurz danach Flammen aus dem Haus zu sehen waren. Nachbarn hämmerten an die Haustür, holten sie und ihre drei Kinder aus dem Haus. „Meine Kinder hatten furchtbare Panik und Angst und wollten erst nicht raus“, berichtet sie. Zum Glück wurde niemand verletzt, und auch die Puppen, die die große Tochter zu Weihnachten bekam, konnten gerettet werden – ein kleiner Hoffnungsschimmer inmitten der Zerstörung.
Zwar ist ihr Haus nicht vom Feuer betroffen, sehr wohl aber vom Löschwasser und dem Brandrauch. Laut Patrick Lang bröckeln die Lehmdecken bereits ab, die Zwischendecken hängen durch. Glück im Unglück: es steht bei ihnen ohnehin ein Umzug an – unabhängig vom Brand. Doch die Ereignisse der Silvesternacht haben Spuren hinterlassen. „Ich schlafe kaum noch. Man funktioniert einfach, lenkt sich mit Arbeit ab und hofft auf bessere Tage“, sagt Anna-Lena Winterfeld.
Neues Spielzeug für die Kinder
Auch die Kindertagespflege, die Anna-Lena Winterfeld im Untergeschoss betreibt, ist betroffen – zieht aber ebenfalls mit um. Der Landkreis als Partner der Einrichtung habe bereits Unterstützung in Form von neuem Spielzeug angekündigt. „Wir sind gut versorgt“, ist Anna-Lena Winterfeld dankbar. „Wir danken den Einsatzkräften, die alles gegeben haben und sich auch um uns gekümmert haben“, sagen die beiden. Nachbarn öffneten zudem ihre Wohnungen, um insbesondere den Kindern der kalten Neujahrsnacht ein Dach über dem Kopf zu bieten.
Patrick Lang, Arzt in der Helios-Klinik Northeim, war in der Silvesternacht im Krankenhaus im Einsatz. Über Kollegen und Einsatzkräfte erfuhr er, was im Haus geschah. „Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man von so etwas hört und nicht sofort nach Hause kann“, sagt er. Nun tragen sie Umzugskartons aus dem Haus. Das Auto mit Anhänger haben sie sich geliehen. „Wir kennen die Bewohner des Brandhauses und haben Mitleid mit ihnen“, sagt Lang.
Ein Blick nach vorn – trotz Ruinen
Für Mohamed Gucati und seine Familie bedeutet der Brand einen kompletten Neustart, möglicherweise in einer anderen Stadt. „Ich suche für meine Mutter eine neue Wohnung, vielleicht auch bei mir in Hannover“, sagt er. Für Anna-Lena Winterfeld und ihre Familie bedeutet das Feuer, sich in einem neuen Zuhause einzurichten und die Kindertagespflege wieder zum Laufen zu bringen. Doch im neuen Haus erwartet sie noch eine Baustelle, wollten sie doch erst in wenigen Monaten umziehen. Zudem sind viele ihrer Sachen vom Braundrauch beschädigt, manches muss weggeschmissen werden.
Doch eines zeigt sich in der Hagenstraße klar: Der Zusammenhalt in der Nachbarschaft ist stark. Nachbarn halfen einander, Einsatzkräfte gaben alles, und auch Behörden und Hilfsorganisationen unterstützen, wo sie können. „Wir haben bereits mit der Stadt gesprochen, dort wird sich auch um meinen Vater gekümmert“, sagt Mohamed Gucati. Während der beißende Brandgeruch langsam verfliegt, bleibt die Erinnerung an eine Silvesternacht, die das Leben vieler Menschen für immer verändert hat. Doch die Hoffnung auf einen Neuanfang ist stärker als die Ruinen, die zurückgeblieben sind.