Vor gut einem Jahr protestierten Landwirte bundesweit. Anfang Januar 2024 legten sie auch den Verkehr in Northeim kurzzeitig lahm. Mittlerweile ist es still geworden. Doch eine Nachfrage bei Landvolk-Vorsitzenden Claus Hartmann zeigt: Noch immer ist viel zu tun.
Als wir die Landwirte Anfang 2024 mit der Kamera begleitet haben, wirkten viele von ihnen frustriert bis ernüchtert. „Zu viel ist zu viel“, sagte Claus Hartmann, Vorsitzender des Ladvolk Northeim-Osterode. Dabei stand er mit Mikrofon auf dem Dach eines Baggers. Im Anschluss setzten sich hunderte Landwirte in Northeim in Bewegung, begleitet von der Polizei und vom stockenden Berufsverkehr. Bei minus zehn Grad war die Stimmung trotzdem aufgeheizt. Ungewöhnlich sei es, sagt Hartmann später, dass sich Landwirte miteinander solidarisieren – schließlich gelten viele von ihnen eher als Eigenbrödler. Aber diesmal war es eben „zu viel“.
Solidarität für aufgebrachte Landwirte
Schon vor dem großen Protest gab es einen Tag vor Weihnachten die Generalprobe mit ein paar Traktoren in Northeim. Es ging gegen politische Entscheidungen zum Nachteil der Landwirte. Laut Hartmann aber vor allem um den mangelnden Dialog bei Sachthemen. Während in anderen europäischen Ländern auch Barrikaden brannten und die Polizei angegriffen wurde, blieb es in Deutschland – und Northeim – sachlich. „Die Unterstützung, die wir damals erfahren haben, hat uns gezeigt, dass unser Anliegen verstanden wurde“, sagt Hartmann heute, mehr als ein Jahr nach den Protesten. „Wir haben gemerkt, dass uns aus der Bevölkerung sehr viel mehr Solidarität und Verständnis entgegengebracht wurde, als wir erwartet hatten. Das war toll.“ Diese Solidarität hat nicht nur die Sorgen der Landwirte, sondern auch die anderer Berufsgruppen gerückt. „Das war ein positiver Effekt“, betont Hartmann. Gleichzeitig mahnt er: „Wir wollen diese Solidarität nicht verlieren.“
Politik hört zu
Tatsächlich haben die politischen Diskussionen, die durch die Demonstration angestoßen wurden, einige konkrete Erfolge gezeigt. Die geplanten Steuererhöhungen wurden in ihrer ursprünglichen Form nicht umgesetzt. Es gab Kompromisse bei der Kfz-Besteuerung und dem Agrardiesel, und die Tarifglättung wurde eingeführt, was eine andere steuerliche Behandlung für landwirtschaftliche Betriebe ermöglicht. Auch die Vorschrift, vier Prozent der Ackerfläche brachliegen zu lassen, wurde zurückgenommen. „Das sind Erfolge, die wir durch die Proteste sehen, wenn auch nicht immer unmittelbar“, sagt Hartmann.
Eine starke Gemeinschaft
Ein weiterer Erfolg sei die stärkere Einbindung von Landwirten in Entscheidungsprozesse auf politischer Ebene. „Die Gesprächsbereitschaft aus der Politik ist größer geworden, ebenso wie das Verständnis dafür, welche Sorgen wir haben“, betont der Landolk-Vorsitzende. Das Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene wurde erheblich abgeschwächt, und die europäische Agrarpolitik ist zu einem zentralen Diskussionsthema geworden. „Wir haben den Eindruck, dass landwirtschaftliche Belange in Europa besser wahrgenommen werden.“ Hartmann bleibt aber realistisch. „Das führt aber nicht immer dazu, dass wir unsere Interessen durchsetzen. Aber das ist die Folge von Kompromissen“, erläutert er.
Dennoch bleiben Herausforderungen bestehen. Die wirtschaftlichen Belastungen für Landwirte seien weiterhin hoch, und die gestiegenen Anforderungen im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes stellen viele Betriebe vor große Aufgaben. Deshalb sei der Dialog wichtig. Und die Bereitschaft zum Kompromiss. „Hinter jeder Forderung steht eine Gegenforderung. Ein Interessenausgleich ist harte Arbeit und wird selten gedankt“, so Hartmann. Die Demonstration vor einem Jahr bleibt für viele ein mahnendes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, Probleme offen anzusprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Hartmann betont: „Das Gesprächsklima hat sich verbessert. Nichtsdestotrotz wünschen wir uns bei der einen oder anderen Diskussion mehr fachliche Kompetenz.“
Diskussionen bleiben
Inwieweit die Proteste wirklich erfolgreich waren, wird auch innerhalb des Berufsstands weiterhin kontrovers diskutiert. „Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die finden, dass wir noch nicht genug erreicht haben“, sagt Hartmann. „Denn die Baustellen werden nicht weniger, wir sehen uns weiterhin mit neuen Herausforderungen konfrontiert.“ Dennoch ist er überzeugt, dass die Landwirte in der Folge der Proteste enger zusammengerückt sind: „Ich glaube schon, dass das grundsätzliche Gemeinschaftsgefühl im Berufsstand stärker geworden ist.“
Eine der Forderungen war eine grundlegend neue Politik, auf Plakaten einzelner Landwirte gar das Aus der Ampelregierung. Zumindest das hat sich kurz vor Weihnachten quasi von selbst erledigt. „Nun sind wir in einer Situation, in der politisch nicht ganz klar ist, wohin es geht“, betont Hartmann. Auch deshalb wollen sich die Landwirte zunächst politische zurückhalten. Eine Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl werde es diesmal beispielsweise nicht geben.
Erinnerungen am Jahrestag
Trotz anhaltender Herausforderungen sieht Hartmann derzeit keinen Anlass für erneute Proteste. „Es gab eine welle der Erinnerungen an die Proteste und den Wunsch, wieder etwas zu machen“, sagt er. Gleichzeitig räumt Hartmann ein, dass die Organisation an die Substanz gingen: „Das war für alle, die dabei waren, eine große Belastung.“ Inzwischen finden sich viele Landwirte im Alltag wieder. „Ich bin allen, die die Proteste unterstützt haben, sehr dankbar, dass alles so friedlich und umsichtig abgelaufen ist.“