Kennen Sie Weihnachtsstimmung? Dieses mollig-warme Gefühl vom 20. bis 27. Dezember? Irgendwie hat mir das in diesem Jahr gefehlt. Je näher die Weihnacht kam, desto weiter war dieses Gefühl entfernt.  Kommerz, Hektik – was sonst nur dahingesagt wird, wurde wahrhaftig und einnehmend. Und dann kam dieser Moment. Ich wollte schon gar nicht mehr in die Kirche gehen. Aber das gehört doch dazu. Glück gehabt.

Heiligabend, 18 Uhr. Die beste Sendezeit für Gottes Wort vor Livepublikum. Für Kirchen ist das Prime-Time, das wichtigste Zeitfenster. Wie sonst nie strömen die Schäfchen zum Gottesdienst. Weil es dazugehört, aus Tradition oder aus Gewohnheit.

Und genauso traditionell und gewöhnlich sind diese Gottesdienste dann oft auch. Es wird die Geschichte der Geschichten erzählt, als es sich zu einer Zeit begab, „daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde“. Tochter Zion, ein bisschen Gesellschaftskritik. Schlimmes 2017, Besinnlichkeit.

Segen. Gänsebraten.

Apropos 2017: In diesem Jahr hat die Northeimer Jugendkirche um Jan Mönnich die Corvinuskirche in Northeim als ihr Zuhause auserkoren. Heiligabend, 18 Uhr. Zur besten Sendezeit, vor vollem Haus, durfte die Jugend ran. Und hat es allen gezeigt: Kirche ist lebendig, wenn sie will.

Das dieser Gottesdienst ein wenig anders wird, war klar, als unter anderem Klänge der Erfolgsserie „Game of Trones“ im Orgelvorspiel auftauchten. Der Organist des Abends ist spontan eingesprungen. Aber diese Klänge waren gewollt.

Dieser Gottesdienst war voller Kleinigkeiten und großer Momente. Eine Vorstellung so lebendig und voller „Wollen“, ganz ohne „Müssen“.

Gottesdienste, gestaltet von Jugendlichen, gehen häufig das Risiko ein, zu jung, zu dynamisch, zu laut wirken zu wollen und zu müssen. Krawall und anders-sein um jeden Preis.

Nicht hier

Die Northeimer Jugendkirche wagte, dynamisierte. Kannte aber die leisen Töne. Und die ehrfürchtig großen Momente. Sie konnte Tradition – und sagte dir im zweiten Satz, warum. Jugend stellt Fragen – etwas, das Kirche deutlicher braucht als bisher. Mehr noch als die sonst so gepredigten, zuendegedachten Meinungen und Antworten gereifter Männer und Frauen im schwarzen Kleid.

Jugendkirche will zu eigenem Antrieb inspirieren, statt zu Antworten. Die Hand heben statt sie bloß zu reichen. Angeln lernen, statt Fische zu kaufen.

Was die Jugendlichen auf die Beine gestellt haben, war voller Leidenschaft und Freude. Scharfsinnig, spitz und mit dem nötigen Respekt vor dem großen Ganzen.

Deshalb fühlte sich niemand vor den Kopf gestoßen, der das traditionelle liebt. Deshalb waren alle begeistert, die nichts gegen ein Selfie im Kirchenschiff haben.

Poetry Slam trifft Jesuskind. Wer ist das – wer bin ich? Die Fragen der Jugend sind die Fragen der Kirche.

Deshalb tut das, was die Northeimer Jugendkirche schafft, so gut. Sie ist so bedeutend, so wichtig, so wohltuend.

Stille Nacht, heilige Nacht. Im Duett, im Kanon. Gänsehaut. Das hat so noch niemand gehört. Es war minimalistisch und leise, und laut im Herzen.

Danke für diesen Mut, Jugendkirche. Zu zeigen, dass niemand einfach glaubt. Dass Glaube erarbeitet werden muss und am Ende keine Antwort, sondern eine Frage steht.

Danke für den Mut, diesen wunderbaren jungen Menschen, die lieben, was sie tun, die Prime Time zu geben, die beste Sendezeit. Heiligabend, 18 Uhr.

Ps: Am 7.1 ist wieder Jugendkirche in Corvinus. Wie jeden ersten Sonntag im Monat. Nur so als Tipp.

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1 Kommentar

  1. Vielen Dank für diese liebevolle und spritzig geschriebene Kritik, die Ansporn gibt und Lust macht zu mehr – auch wenn sich der “Mann im schwarzen Kleid“ in seinen Bemühungen um das Wort Gottes in unserer Zeit doch mehr oder weniger vom Platz verwiesen fühlt. Was da in “herkömmlichen Predigten“ so einschläfernd daherkommen mag, ist vielleicht schon millionenfach gesagt, und doch sollten wir uns immer wieder daran erinnern lassen, weil vieles längst noch nicht in unser Innerstes gesunken ist. Immerhin hoffe ich doch, dass manche Gottesdienstbesucher nicht nur aus Gewohnheit kommen, sondern sich auch bewegen lassen wollen von Liedern, Texten und Gebet. Immerhin nehme ich mit, dass es offensichtlich die Fragen sind, die Menschen positiv an- und umtreiben. Der Glaube und die Bibel als sein grundsätzliches Zeugnis versucht allerdings auch Antworten zu geben – vielleicht nicht jene, die Menschen heute hören wollen.

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