Sie haben ein Büro und ein Lädchen am Entenmarkt. Laden ein zum Kaffee- und Spielenachmittag. Man hilft mit einer Schuldnerberatung sowie der Beratung für Mutter-Vater-Kind-Kuren. Aber was genau macht die AWO eigentlich sonst so – und vor allem: wer? Wir haben bei der Northeimer Arbeiterwohlfahrt mal geklingelt. Erfahren haben wir faszinierendes über die Arbeit eines Sozialverbandes, über Begegnungen mit spannenden Menschen und einem Imageproblem. Gegen Stolz und Vorurteile.

Da seid ihr ja

Wir treffen uns mit Geschäftsführerin Constanze Behrens und ihrem Kollegen Tobias Meinshausen am Entenmarkt in Northeim. Im Gepäck haben wir viele Fragen und jede Menge Neugierde. Die Büros sind gerade renoviert, der Heizstrahler nur ein Relikt vergangener Zeiten. Es braucht nicht viel. „Du weißt am Morgen nie, was der Tag bringt“, sagt Meinshausen. Klar gibt es Termine. Die persönlichen und oft spontanen Gespräche machen die Arbeit aber so besonders, sagen beide. Sie bezeichnen sich als Kümmerer, als Ansprechpartner, ans Zuhörer und Umsetzer. Das, was sie tun, hat viele Farben und Klänge.

Ein Überblick

Der Name deutet es schon an: die Arbeiterwohlfahrt, kurz AWO, gibt es schon sehr langer. 2019 wird das 100. Jahr nach der Gründung gefeiert. Nach dem Bundesverband in Berlin folgt der Bezirksverband in Hannover, der Kreisverband in Northeim und schließlich die Ortsverbände. Um zu verstehen, wie die AWO in Northeim funktioniert, hilft ein Blick auf die Verteilung. Der AWO-Kreisverband Northeim e.V. besteht aus den Ortsvereinen Bad Gandersheim, Einbeck, Gillersheim, Hardegsen, Northeim und Uslar. Diese machen sich mittlerweile nicht nur in sozialen Fragen stark. Sie sind vor allem auf dem Land zum Mittelpunkt des Zusammenlebens geworden. Vom Seniorennachmittag bis zum Sommerfest, überall finden sich die drei Buchstaben wieder.

Natürlich ist die AWO nicht die einzige Adresse mit eben diesem Angebot. Deutsches Rotes Kreuz, Karitas – sie alle sind Wohlfahrtsverbände. Und sie arbeiten auf Kreisebene auch eng zusammen. Ein bisschen Konkurrenz gibt es aber trotzdem, sagt Constanze Behrens. Heutzutage hat aber jeder sein Steckenpferd, seine Niesche und sein Spezialgebiet. Für den Kreisverband bedeutet das: Schuldnerberatung, Mutter-Vater-Kind-Kur Beratung und Vermittlung von Ehrenamtlichen (Ehrenamtsgagentur). Der Northeimer Ortsverein kümmert sich insbesondere um das kleine Sozial-Lädchen, „das besondere AWO-Lädchen“, nebenan und schafft Plattformen für Senioren und auch jüngere Menschen.

Die Zielgruppe scheint also klar. Konkret geht es aber um die sozial Schwachen und die, die im Wirren des Sozialstaates einen roten Faden brauchen. Das allerdings führt häufig zu einem Gewissenskonflikt auf beiden Seiten. Denn die Wohlfahrt, die ist doch für arme Menschen. Für alte Menschen. Für „die da“, oder? „Ja, aber“.

Das Image-Problem

Tatsächlich, meint Constanze Behrens, gibt es dieses Vorurteils-Problem. Viele Hilfesuchende trauen sich nicht, zur AWO zu gehen. Weil sie sich nicht eingestehen, Hilfe zu brauchen. Aus Eitelkeit und Stolz. Oder weil sie einfach nicht wissen, wie ihnen die Wohlfahrt weiterhelfen kann. „Früher hatten wir die so genannte Kleiderkammer. Damit haben wir aber nie die Leute erreicht, die wir jetzt erreichen“, sagt Constanze Behrens. Almosen, das komme bei niemandem gut an. Heute gibt es das soziale Kaufhaus – die Adabtonsrate war um ein vielfaches höher. „Das ging Ruckizicki.“

Vorteil: Es gibt mehr als nur Waren, sondern auch Kontakte. Die Atmosphäre ist wohnlich, es gibt Kaffee und Kekse. Und Gespräche. „Miteinander reden, nicht alleine sein, jemanden haben, dass zeichnet [das Sozialkaufhaus] aus.“ Gleichzeitig dient die Plattform als Wachstumsbeschleuniger für ehrenamtliches Engagement. „Viele kommen als Kunden und bleiben als Helfer“, sagt Meinshausen.

Das Kerngeschäft

Das Lädchen nebenan ist für Tobias Meinshausen vor allem eine Chance auf „würdevolles Einkaufen“ für Menschen, die von Hartz 4 und weniger leben müssen. Weil es ein echtes Kaufhaus ist, in dem auch bezahlt werden muss und „keine Almosen“ ausgegeben werden, wie Behrens sagt, fällt es vielen auch leichter, es zu nutzen. „Die Menschen haben sich gesagt, ich gehe da nicht hin, ich bin doch nicht arm“, erzählt die Geschäftsführerin.

Heute sind die Gründe für den Besuch im AWO-Lädchen unterschiedlich. Schauen die einen auf den Geldbeutel, genießen andere die Flohmarkt-Atmosphäre. Weil die Waren ausschließlich gespendet und gebraucht, aber sehr gut erhalten sind, ist das eine oder andere Schätzchen dabei. Und zum Plausch gibt es oft auch gleich noch eine Tasse Kaffee.

Das liebe Geld

Der Kreisverband selbst setzt neben den Mitgliedsbeiträgen insbesondere auf staatliche Unterstützung. Ideen wie das soziale Kaufhaus beim Orstverein Northeim sind immerhin in der Lage, sich selbst zu finanzieren. Im nächsten Schritt soll es aber auch hier möglich sein, Mitarbeiter einzustellen und so Arbeitsplätze zu schaffen. Der eine oder andere schafft so den Sprung aus der Arbeitslosigkeit. „Das ist der Idealfall“, sagt Meinshausen. Und das stehe grundsätzlich vor jeder Gewinnabsicht.

Eben dieses Zusammenbringen von Menschen ist inzwischen zum Zugpferd der Northeimer AWO geworden. Plattformen wie die Ehrenamtsagentur, die mittlerweile übergreifend Kräfte vermittelt, setzen auf aktive Netzwerkarbeit. Die AWO auf anderen Ebenen betreibt außerdem Krankenhäuser und Kindertagesstätten.

Der Alltag der AWO

Für beide ist die Arbeit bei der AWO etwas ganz besonderes. Menschen zu Helfen, sie zu unterstützen und weiterzubringen, sei im Kern ihre Aufgabe. Die Überraschungen, die jeder einzelne Tag für beide bereithält – abseits der routinierten Arbeit – machen die Arbeit gerade so besonders. Meinshausen und Behrens setzen dabei auf ein ganz besonderes Glücksgefühl. „Diese Dankbarkeit, die da zurückkommt“.

Aber geht es den Menschen vor Ort schlechter? Wird die Arbeit für die AWO-Mitarbeiter mehr? „Ich weiß nicht, ob es den Menschen schlechter geht“, sagt Meinshausen. „Sie haben jetzt eine Anlaufstelle. Einigen geht es sicherlich schlechter. Aber ob das allgemein gilt? Ich denke, dass Menschen, die sich vor zehn Jahren nicht getraut haben, jetzt eher zu uns kommen.“

Laut Behrens überlegen viele gar nicht mehr, ob sie bedürftig seien oder nicht, um die Angebote zu nutzen. Viele kommen trotzdem, vielleicht aus anderen Gründen, aber sie kommen. „Das ist nicht wichtig“. Heißt auch: Niemand müsse Angst haben vor der AWO.

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