Es riecht nach scharfer Zitrone und Ölfarbe. Das Licht vom Innenhof fällt weich und schnörkellos in das lange Atelier auf einen Tisch voller gemischter Farben. Den hohen, weißen Wänden sind großformatige Leinwände vorangestellt. Darauf zu sehen ist ein Abenteuer aus Farben und Formen, arrangiert, kreiert und erdacht von Rui Zhang. Die junge Frau kam aus China nach Braunschweig und schließlich nach Northeim. Seit 1996 schenkt die Kreis-Sparkasse Northeim Künstlern im Schatten des Reddersen-Gebäudes ein Zuhause, jedes Jahr einem anderen. Fotografen waren da, Bildhauer, Schauspieler und eben Maler – so wie Rui Zhang. Die junge Chinesin malt auf Leinwänden, um ein vielfaches größer als sie selbst. Zu sehen sind diese noch bis zum 9. Oktober im Foyer der Kreis-Sparkasse Northeim an der Breiten Straße.

Ein Atelier mit Tradition

Das Reddersen-Haus ist eines der ältesten Gebäude in Northeim, das Zuhause der Northeim-Touristik und ausgestattet mit einem wunderbar grünen Innenhof. Dieser Innenhof führt weiter in ein kleines Wohnhaus mit großem Atelier und Wohnung. Es gibt nur zwei Blickrichtungen: Mauer und grüner Innenhof. Volle Konzentration auf die Kunst.

Jedes Jahr sucht die Kreis-Sparkasse bundesweit nach Künstlern, die sich für ein paar Monate in Northeim so richtig ausleben können. Sorgenfrei: Wohnung, Atelier und ein wenig Taschengeld werden gestellt. „Sie sollen sich nur auf ihre Kunst konzentrieren“, sagt KSN-Sprecher Gernot Bollerhei.

Er kümmert sich anschließend um die Gäste. „Wir machen uns die Wahl nicht leicht“, sagt er. Vor allem suchen sie Künstler, die gerade den Sprung von der Uni in die freie Kunstwelt wagen. Ein Schritt, dem sich jeder Künstler irgendwann gehen sehen muss. Wer allerdings nur von Stipendium zu Stipendium lebt, hat es hier mindestens schwer.

In diesem Jahr ist die Chinesin Rui Zhang an der Reihe. Ihre Kunst auf riesigen Leinwänden hatte die Fachjury überzeugt. Zu Besuch im Atelier wird deutlich: bald endet ihre Zeit in Northeim. An drei Bildern arbeitet die Malerin gerade gleichzeitig. Alle sollen bis zur Ausstellung am 23. August fertig sein. Alle sind eine Verwirklichung auf zwei mal drei Metern. Mindestens.

Volle Entfaltung

Angesprochen auf Kunst und Bilder, fängt Rui Zhang an durch ihr Arbeitszimmer zu fegen, Blätter zu suchen und zu erklärt; wie sie es gemacht hat, welche Idee sie dabei hatte und zu was es führte. Sie vereint dabei das gelernte Handwerk mit einer schier endlosen Fantasie. Dabei sind es eigentlich viele Motive auf großer Fläche, die in ihrer Gesamtheit ein ganzes ergeben. Wo Rui Zhang ein Bild angefangen hat und wohin sie ihre Fantasie trug, ist auch auf den zweiten Blick kaum zu erkennen. Doch wenn die Künstlerin erzählt, entfaltet sich dasselbe Bild vor den Augen wie ein schnell wachsender Baum noch einmal von Neuem. Jetzt ist die Künstlerin in ihrem zweiten Element. Das Zeigen.

 

Tupfen, Streichen, Kleben, Nachdenken. Der Prozess des Malens ist für Rui Zhang ein stiller Tanz zwischen Farbentisch und Groß-Format-Leinwand. Ihre Bilder sind mit Absicht so groß, nur so bringt sie die vielen Details unter, die ihre Bilder so eindrucksvoll wirken lassen. „Ich habe es kleiner versucht, aber das macht nicht so viel Freude“, sagt sie. Wie gigantische Suchbilder erstrecken sich ihre Motive in einem Blick. Jeder Millimeter ist eine neue Geschichte, und beim Betrachter beginnen die Zahnräder im Kopf zu rotieren. Jeder Blick, jeder Blickwechsel und jeder Gedanke verspricht, eine neue Geschichte auf der Leinwand zu offenbaren. Die Kunst schafft es tatsächlich, beim Betrachter etwas ganz eigenes loszutreten, ohne es zu fordern.

Kleine große Geschichten

Viele Künstler haben große Erwartung an ihr Publikum. Es soll das Bild verstehen und begreifen. So wie es der Künstler wollte, jede Nachricht und jede Absicht soll deutlich sein. Eindeutig. Rui Zhang dreht den Spieß um. Sie beobachtet ihr Publikum bei jeder Ausstellung und freut sich über die grübelden Gesichter. Denn ihre Kunst nimmt jeden Betrachter ein und spuckt ihn erst wieder aus, wenn dieser die Reise durch Farben und Formen einmal mitgemacht hat. Und es reicht ein kleiner Moment, ein Blickwechsel – und die Reise beginnt erneut.

Große Reise

Das liegt zum einen am fast gigantischen Format der Bilder, gleichzeitig aber auch an den vielen Details, die sie auf jeden Quadratmillimeter bringt. Darauf angesprochen, wird die sonst so ruhige Künstlerin ganz aufgeregt und erklärt, wie ihr dieses und das gelungen ist. Denn im Wesentlichen ist ihre Arbeit ein Handwerk. Die Auswahl der richtigen Farben und Farbenarten, das Erstellen von Schablonen und Vordrucken per Hand und am Computer und die Geduld beim Trocknen der Farben. Alles Handwerk, gelernt im Studium und geformt durch Talent.

Schwimmen und Fahren

Bei einer Ausstellung in Wolfsburg erzählte sie Künstlerkollegen von ihrem Stipendium in Northeim. Die wussten sofort, was gemeint ist: „Northeim, das kennen wir.“ Schließlich gibt es dort das einzige 50-Meter-Schwimmbecken in ganz Südniedersachsen. Rui Zhang aber hat Angst vor Wasser. Heute kann sie Schwimmen – gelernt in Northeim. Und noch etwas nimmt sie aus Northeim mit: den Führerschein. „Den habe ich in den Großstädten bisher nie gebraucht“, sagt sie.

 

Die Ausstellung im Foyer der Kreis-Sparkasse Northeim dauert noch bis zum 9. Oktober. So lange sind die großen und auch kleinen Bilder von Rui Zhang dort zu sehen. Der Kunsthistoriker Michael Stoeber war am Abend der Vernissage einer der größten Schwärmer für Rui Zhangs Kunst. Was als einführende Worte in den Abend gedacht war, wurde zu einer halbstündigen Lobeshymne über die junge Künstlerin. Und sein Vergleich zur Musik und Motiven von Pink Floyd kommen tatsächlich nicht von ungefähr. Die Künstlerin selbst hält sich lieber leise im Hintergrund – und lässt die großen Worte ihrer Farben für sich sprechen.

 

Vorheriger ArtikelDrachenboot Cup: Mehr Druck!
Nächster ArtikelMit Drogen, falschen Papieren und 600 PS unterwegs: Polizei stoppt Fahrer in Northeim

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein