Es war im Juni und an einem Sonntag, so wie es sich für einen Gottesdienst gehört. Niemand hat gesprochen; keine Einwände, kein Einspruch. Warum auch. Den Mann, den die Gemeinde der Corvinuskirche dort vor dem Altar stehen sieht, kennen viele.

Offiziell heißt es „Vokation“, verständlicher ist „Ernennung“: So heißt es, wenn ein neuer Pastor einer Gemeinde erstmals vorgestellt wird. Die Gemeinde könnte nun sagen; den wollen wir nicht, weil …

Das tut sie aber nicht. Denn der Mann da vorn ist einer „ihrer Jungs“. Jens war vor vielen Jahren Teil der Jugendgruppe, des Kindergottesdienstteams und dann auch im Kirchenvorstand zu einer Zeit, als das Pastorenehepaar Wackerbarth noch im Pfarrhaus wohnte, als E-Gitarre, Keyboard, Saxophon und Schlagzeug im Kirchenschiff noch neu und anders waren.

Jens kehrt als Dr. Gillner zurück nach Northeim in „seine“ Corvinuskirche, deren Baustil 1960 modern war und heute eher kalt wirken mag, jedoch viel Platz und Raum bietet, um alles mit Ideen zu füllen. Die sind zwar keine „Reformation“, tragen aber eine deutliche Handschrift.

Die Kirche ist leer, das Licht fällt an diesem verregneten Tag nur schwach durch die hohen, kleinen Fenster in die Corvinuskirche. Jens Gillner öffnet die große Tür. Erinnerungen werden wach. Der Jugendraum im Keller, die Musik im Kirchenschiff, der Gang zwischen Pfarrhaus und Kirche. Der Kindergarten, die Gottesdienste, die Verbundenheit mit der Gemeinde.

Eng wird es in der Corvinuskirche selten. Die Gebete, selbst leise ausgesprochen, reichen zehn Meter und höher bis zur Decke. Der Blick verliert sich dort an den langen, braunen Holzbrettern, an den schmalen Lampen und den weiten Fluchten. Die Wände sind weiß und bieten kaum etwas, an dem das Augen verweilen kann. Der Altar: Ein Betonblock. Das Bild von Jesus am Kreuz und darüber das des Auferstandenen – sie stechen hervor und wollen den Blick fangen. Darum geht es hier. Die Liebe steckt im Detail. Eine Liebe, der sich niemand entziehen kann und möchte, der mit dieser Kirche und seiner Gemeinde großgeworden ist.

An dieses „Großwerden“ erinnert sich Jens Gillner gerne zurück. Damals waren die Wackerbarths die Pastores der Corvinuskirche und etablierten einen sehr modernen, vor allem aber jugendorientierten Stil in der Kirchengemeinde. Auch, weil direkt an die Kirche ein Kindergarten angeschlossen ist. Auch, weil zu dieser Zeit viele junge Menschen am Fuß des Sultmers lebten und neben der Schule einen Ort suchten, um gemeinsam etwas bewegen zu können. Einer dieser Beweger war eben auch Jens Gillner.

Jens Gillner kehrt nach Jahrzehnten als Pastor in jene Kirche zurück, in der er schon Teil der Jugendabreit war.

Irgendwann zog es ihn wie viele Jugendliche raus aus Northeim. Dass er einmal Pastor werden würde, war nicht sein erster Lebensplan. „Wobei ich schon sagen muss, das mich die Wackerbarths besonders geprägt und inspiriert haben“, sagt Jens Gillner. Schließlich studiert er in Göttingen Ev. Theologie und arbeitete zuletzt auch wieder an der Uni in Hamburg. Gillner war an der Stadtkirche St. Marien in Celle zugleich mit einem Aufgabenbereich in der Martinusgemeinde in Beedenbostel, in der Nikodemusgemeinde in Handeloh und in der Johannesgemeinde in Tostedt als Pastor unterwegs. Vor dem Start in Northeim war er zuletzt Dozent für Biblische Theologie an der Universität Hamburg.

Dass er nun wieder nach Northeim zurückkehrt, ist ein Zusammenspiel aus Zufällen und Schicksal. Vielleicht. „Ich glaube daran, dass Gott hier einen Plan hat – das ist für mich ziemlich offensichtlich und beeindruckend“, sagt er mit Blick auf die Dinge, die geschehen sind und vielleicht geschehen werden.

Erstmal musste ja überhaupt erst eine Stelle in Northeim frei sein. Bisher war das Pastorenehepaar Michael und Elsbeth Groh seit mehr als 16 Jahren für die Corvinuskirche im Einsatz. Ende März dann ihr überraschender Abschied: In Gifhorn wartet für beide eine neue Aufgabe. Im selben Augenblick ist Jens Gillner nach aufwühlenden Zeiten im privaten Umfeld auf der Suche nach Veränderung, sieht, das in seiner alten Heimat die Stelle ausgeschrieben ist – und bewirbt sich.

Am Ende muss er sich gegen mehrere Kandidaten durchsetzen, überzeugt aber offenbar so sehr, dass es nun mit der „Rückkehr“ klappt. Noch lebt er zwischen Hamburg und Northeim, zwischen Umzugskartons und Handwerker-Anfragen. Das Pfarrhaus mit direktem Anschluss an die Kirche wird gerade renoviert. Neue Farben, neue Fußböden und bald ein neuer Bewohner.

Dass er nicht kommt, um die Corvinuskirche zu reformieren, ist allen klar – vor allem Jens Gillner selbst: „Auch, wenn ich viele Menschen in der Gemeinde kenne, wird es eine Zeit des Neukennenlernens brauchen“, sagt Gillner. Und diese Zeit „werde ich mir nehmen und auch nutzen“. Er will u. a. weiter an „lebensnahen“ Gottesdiensten arbeiten und mit in die wachsende Jugendarbeit einsteigen – etwas, das seine Vorgänger ebenfalls intensiv betrieben haben und was die Corvinusgemeinde unter den Stadtgemeinden immer sehr besonders gemacht hat.

Mit die anstehenden Wahlen für den Kirchenvorstand will er jedoch auch neue Ansätze finden, um diejenigen in Entscheidungsprozesse und Gestaltung noch intensiver einzubinden, die sich ehrenamtlich engagieren (wollen) – vom Gemeindemitglied bis zum Kirchenvorstand als Leitungsgremium. Dabei setzt er auf seine Erfahrung – schließlich kennt er die Arbeit in einer Kirchengemeinde allgemein und im Kirchenvorstand im Besonderen seit Jugendtagen.

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