Bernd Kühle ist nicht mehr Kreisbrandmeister im Landkreis Northeim. Nach 18 Jahren endet seine Amtszeit, er verlor die Wahl gegen Marko de Klein. Wie kaum ein anderer hatte er dabei in dieser Zeit Einfluss auf Feuerwehren und Feuerwehrleute. Im großen Interview mit Northeim-jetzt erinnert er sich: an tolle Erlebnisse und furchtbare Schicksale. Als Kreisbrandmeister, Feuerwehrmann und Mensch.

Unterwegs mit dem Feuerwehr-Käfer

Wer für lange Zeit etwas macht, erlebt auch etwas. In der Konsequenz gibt es viele Geschichten zu erzählen und Erfahrungen weiterzugeben. Bernd Kühle ist seit den 1970er-Jahren Feuerwehrmann. Aus dieser Zeit stammt auch der Feuerwehr-Käfer des Fördervereins der Northeimer Feuerwehr. Ich wollte wissen, wie sich die Feuerwehr in all diesen Jahren verändert hat. Wie sich die Feuerwehrleute verändert haben und was Bernd Kühle in seiner Zeit verändert hat. Deshalb war klar, wo und wie das Interview stattfinden sollte: Mit dem Käfer unterwegs im Landkreis. Am Steuer: Bernd Kühle, bis vor zwei Wochen noch Kreisbrandmeister in Northeim.

Während Bernd Kühle Geschichten erzählt, öffnet der Käfer Türen zur Geschichte. Bei jedem Stopp, egal ob in Northeim oder Einbeck, haben Passanten nur ein Ziel. Fast alle erinnern sich an die Zeit, als sie selbst noch einen solchen VW vorgefahren haben. Schnell wird Bernd Kühle zum Historiker und macht gleichzeitig Werbung für die Freiwillige Feuerwehr. Auch ich habe meine Geschichte mit diesem Käfer, denn er befand sich einmal in Familienbesitz. Zu dieser Zeit war mein Großonkel noch Stadtbrandmeister, der Käfer stand lange wohlbehütet in einer Garage in Höckelheim. Wenn ich als kleines Kind häufig genug fragte, durfte ich mich einmal hineinsetzen. Seitdem sind 25 Jahre vergangen – und ich darf wieder einmal darin platz nehmen, Fragen stellen und staunen.

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Der ewige Kreisbrandmeister

18 Jahre lang war Bernd Kühle Kreisbrandmeister im Landkreis Northeim. Mit einer Neuwahl wäre er in seine letzte Amtszeit gegangen. Doch die Wahl hat er gegen Marko de Klein verloren.

Das hat geruckt. Denn es heißt auch: Die Chefs der Freiwilligen Feuerwehren im Landkreis Northeim wollen ihn, Bernd Kühle, wiederum nicht mehr als ihren Chef haben. „Eine Woche habe ich gebraucht, um das zu verarbeiten“, beantwortet Kühle die dazu passende Frage. Vielleicht war es auch gar keine Entscheidung gegen Kühle, sondern für einen jüngeren Kandidaten. Für Veränderung. Bewegt hat sich danach aber vor allem etwas in Bernd Kühle selbst, nachdem er 18 Jahre lang etwas bewegt hat.

Was das mit ihm angestellt und was es ihm bedeutet hat, so lange der „oberste Feuerwehrmann im Landkreis“ zu sein, warum er überhaupt Feuerwehrmann geworden ist und wie es jetzt weitergeht. Alles das hat er mir nun erzählt.

Als Bernd Kühle bei der Feuerwehr anfing, war das heutige Theater der Nacht noch das Feurwehrhaus. Auch für den Käfer ist es eine Rückkehr zur alten Gerage.

 

Mein Cousin Horst Lange

Jeder in der Feuerwehr kennt Horst Lange, und jede Pressestelle im Landkreis Northeim kennt seine E-Mails. Er war es schließlich auch, der seinen Cousin Bernd Kühle zur Feuerwehr holte. Losgelassen haben beide bis heute nicht. 1974 war das, „damals noch mit Kombi und Schiffchen. Das sah top aus, und hat natürlich gelockt“. Nach den Lehrgängen folgt die erste Verantwortung als Gruppenführer. Der erste Einsatz war direkt ein Waldbrand bei Hammenstedt und ein Großbrand in Imbshausen, erinnert sich Kühle.

Nach dem Gruppenführer folgte der Zugführer, das Amt des stellvertretenden Ortsbrandmeisters und schließlich der Ortsbrandmeister in Northeim. Nach sechs Jahren im Amt lockte die Nachfolge des Kreisbrandmeisters. „Das kam überraschend, aber ich wollte es dann auch.“

Kreisbrand- was?

„Der Dienstgrad ist einmalig“, sagt Bernd Kühle. Die Frage, was so ein Kreisbrandmeister eigentlich ist und macht, beantwortet er emotional. Klar: der oberste Feuerwehrmann im Landkreis. „Wichtig ist, dass man mit seinen Kameraden zusammenarbeitet. Das ist reines Teamwork.“ Der Kreisbrandmeister ist also eigentlich ein Manager, der koordiniert und kommuniziert. Zum einen nach Innen, zu den Städten und Gemeinden aber auch bis zur kleinsten Ortsfeuerwehr.

Aber auch in die andere Richtung: als Vertreter zur Politik und zu anderen Landkreisen. „Ich bin selbst in keiner Partei, da bin ich völlig offen“, so Kühle. Auch für die Presse ist er Ansprechpartner, gemeinsam mit einem ganzen Presseteam im Rücken.

Bei Einsätzen selbst spielt der oberste Feuerwehrmann eine eigene Rolle. „Ein Kreisbrandmeister löscht kein Feuer“, sagt Kühle. Viel mehr sei er ein Unterstützer für die Einsatzleitung, sollte er doch einmal mit dabei sein. Genau das hat ihm in den vergangenen 18 Jahren im Amt auch am meisten Spaß gemacht. „Die Zusammenarbeit mit den Menschen, vom Feuerwehrmann bis zum Brandmeister. Auch dabei zu sein und zu fühlen: wie geht es den Kräften vor Ort eigentlich?“

Ein echter Influencer

Influencer sind Beeinflusser; heutzutage beeinflussen sie Meinungen und Kaufverhalten über soziale Medien. Der Ruf ist also dahin. Dabei haben früher Influencer vor allem eins gemacht: sie haben andere Menschen inspiriert. So auch Bernd Kühle: fast jeder Angehörige der Feuerwehr kennt eine Geschichte mit Bernd Kühle, für eine Generation von jungen Feuerwehrleuten ist er der einzige Kreisbrandmeister, den sie kennen. Ein wesentlicher Teil seiner Arbeit ging in den Aufbau der Jugendarbeit. Auch deshalb ist er für viele fast eine Vaterfigur der Feuerwehr geworden. „Am meisten Spaß gemacht hat mir die Jugendarbeit, die Arbeit mit Kinderfeuerwehren. Das war ein ganz wichtiger Punkt“.

Der Feuerwehr-Käfer ist ein Türöffner für Gespräche. Erinnerungen an frühere Jahre. Bernd Kühle ist nahbar wie immer. Wir machen halt an verschiedenen Stationen im Landkreis Northeim, vor allem der Kernstadt. Stellen, an denen Bernd Kühle als Kreisbrandmeister, vor allem aber als Feuerwehrmann gewirkt hat. Lustiges hat er dabei erlebt, spannendes und erschreckendes. Viele dieser Geschichten gehen ihm dabei auch persönlich Nahe.

Der Feuerwehr-Käfer ist ein Türöfner für Gespräche. Erinnerungen an frühere Jahre. Bernd Kühle ist nahbar wie immer.

Auch ich habe eine sehr persönliche Geschichte mit ihm. Es war die unseres Kennenlernens. 2015 habe ich, damals noch für die Hallo Northeim, eine Reportage-Reihe produziert. Thema: Was passiert in Northeim eigentlich in der Nacht? Bus bin ich gefahren, im Schlaflabor und der Notaufnahme habe ich vorbeigeschaut und auch die Polizei nahm mich mit auf Nachtstreife. Bei der Feuerwehr habe ich lange überlegt. Wie soll das funktionieren? Und vor allem: was soll passieren?

Damals

Damals war er für mich noch DER Kreisbrandmeister: Mit Sie, Ehrfurcht und als junger Redakteur noch grün hinter den Ohren griff ich also zum Telefon. Was macht die Feuerwehr in der Nacht? Feuerlöschen, Türen öffnen bestimmt. Wir haben uns verabredet: Sollte in der Nacht ein Einsatz sein, holt er mich mit seinem Feuerwehrauto ab. Denn sein Vorteil war es, dass er zwar jeden Alarm mitbekommt, aber nicht als erster am Einsatzort sein musste. Als Zeitfenster haben wir uns zwei Wochen im August genommen, willkürlich ausgewählt. Am Ende haben wir uns in dieser Zeit fast jede Nacht gesehen. Aus dem „Sie“ wurde das „Du“, und weil ich immer in Turnschuhen auftrat, schenkte mir Bernd Kühle meine ersten Feuerwehrschuhe. Ihm waren sie damals zu groß. Für eine Metapher hätte der Vergleich nicht falscher sein können.

Bernd Kühle 2015 während der Nacht-Reportage bei einem Hausbrand am Mühlenanger in Northeim

 

 

Bei den Einsätzen, die ich mit Bernd begleitet habe, ist alles passiert, was die Feuerwehr erleben kann. Es brannte ein Mehrfamilienhaus, ein junger Mann verlor im Auto sein Leben und ein Lastwagen verlor auf der A7 radioaktive Stoffe. Erst wunderte sich der Kreisbrandmeister selbst über diese Zufälle, später fragte auch eine befreundete Polizistin bei einem der vielen Einsätze mit kritischem Humor nach, ob das alles mit rechten Dingen zugehe. Ging es. Es war die Reportage meines Lebens.

Geschichten

In dieser Zeit hatte er auf seine Umgebung Einfluss genommen, indem er sie Teil an seinen Erfahrungen und Erlebnissen haben ließ.  Wer seit fast 50 Jahren bei der Feuerwehr ist, hat alles gesehen. Die schrecklichsten Dinge, die das Schicksal einem Menschen antun kann genauso wie die Momente reiner Menschen- und Nächstenliebe. Bernd Kühle war dabei, als am 15. November 1992 um 1:30 Uhr ein Zug von der Bahnhofsbrücke in Northeim fällt. Elf Menschen verlieren ihr Leben, 51 werden so schwer verletzt, dass selbst die Einsatzkräfte bis heute nur schwer davon erzählen können. „So etwas brennt sich in die Seele“, sagt Kühle. Feuerwehrleute bauen sich mit der Zeit ein emotionales Konto auf.

Feuerwehr darf das: Parken an Voigts Teich. Hier hat sich eine der lustigeren Geschichten von Bernd Kühles Feuerwehr-Karriere ergeben. Passanten interessieren sich vor allem für den Käfer.

 

Bei einem Feuer in Bad Gandersheim stirbt ihm ein Kind in den Armen, Gaffer wollen sofort Fotos davon machen. „Da ist es ganz wichtig, jemanden zu haben, der da ist.“ Das ist die Familie, aber auch die Notfallseelsorge und die Kameraden selbst unterstützen hierbei enorm. Doch manchmal trifft es auch die Kameraden selbst. Als sich in Einbeck 2005 ein Hausbewohner in die Luft sprengt, sind auch Einsatzkräfte beteiligt. Das Haus stürzt ein, Polizisten und Feuerwehrleute retten sich nach einer Explosion mit einem Sprung aus dem Fenster. Das emotionale Konto wächst. Die Familie hört zu, schafft Kredit. „Ganz besonders meine Frau unterstützt mich in diesen Momenten.“

Blut und Tränen sind ständige Begleiter von Feuerwehrleute. Aber auch ernste, grundsätzliche Dankbarkeit und Freude. Auch als Kreisbrandmeister fährt Bernd Kühle regelmäßig zu Einsätzen, manchmal wird seine Rolle dann auch kritisch kommentiert. Doch seiner Linie bleibt er dabei treu. Als Chef der Kreisfeuerwehr ist er vor allem mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt. Aber die Basis lässt ihn niemals los – und er sie nicht.

Klare Antworten

Wer ihn fragt, bekommt alles erzählt, was gewusst werden will. Auch die schlimmen Geschichten. Traurig wirkt Bernd Kühle beim Erzählen nie. Er lässt es nicht zu, dass diese Erlebnisse das Zerstören, was ihm vor allem auch viele heitere und wundervolle Momente beschert hat. Da ist der Betrunkene, der dringend in seine Wohnung muss, die Feuerwehr ruft – und erst bei der offenen Tür merkt, dass es gar nicht seine Wohnung war. Oder eine Tierrettung am Voigts Teich. Ein Schwan sei festgefroren. „Doch statt sich retten zu lassen, wehrt dieser sich so heftig, dass der Kamerad selbst auf dem Eis landet.“

Vor allem sind da aber die Dankbaren, die Geretteten, die Geholfenen und die, die das, was Feuerwehr in Northeim macht, wertschätzen. Dann, so Kühle, habe er seine Arbeit richtig gemacht. Schließlich ist Feuerwehr mehr als Ruß und verbogenes Metall. Es ist Jugendarbeit, Gemeinschaft und – dieses berühmte Wort – Kameradschaft. Absolutes Vertrauen für eine gemeinsame Sache, für Bernd Kühle eine gute Sache.

Ansehen

Eine gute Sache, die nicht alle sofort erkennen. Auf der einen Seite sind da die Schaulustigen, sagt Kühle, die den Feuerwehrleuten die Handys direkt vor den Helm halten. Die Retter anpöbeln, beleidigen oder an ihrer Arbeit hindern. Mit einer komplexen Pressearbeit versucht es zumindest die Northeimer Kreisfeuerwehr, die Sensationsgier auszutricksen. Trotzdem nehmen die Härtefälle zu. „Wir müssen unsere Kameraden dort besser schützen“, ist deshalb Kühles Wunsch für die Zukunft.

Mit Blick vom Wieter, im Hintergrund die Kreisstadt Northeim in Richtung Einbeck.

Auf der anderen Seite ist da aber auch das allgemeine gesellschaftliche Ansehen. Wie lassen sich Menschen für das Ehrenamt begeistern? „Das wird eine der größten Aufgaben für uns als Feuerwehr“, prognostiziert Kühle. Problematisch ist dabei aber nicht zwingend die Mitgliederwerbung, sondern die Förderung von Führungskräften. Denn im Ehrenamt müsse auch Verantwortung übernommen werden.

Und die Unterstützung durch ausenstehende? Wenn mitten am Tag der Melder geht, verlassen freiwillige Feuerwehrleite ihren Arbeitsplatz. Zwar zahlen die Kommunen den Verdienstausfall, kaum ein Unternehmen verzichtet aber mitten in der Betriebszeit gern auf ihre Angestellte. Auch hier muss die Feuerwehr in Zukunft Klinkenputzen. Laut Kühle gebe es im Landkreis aber viele vorbildliche Unternehmen, die ihre Mitarbeiter für das Ehrenamt gern freistellen – und dann nicht einmal den Verdienstausfall einfordern. Aber es sind eben auch nicht alle.

Dies alles sind jetzt Aufgaben für Kühles Nachfolger, Marko de Klein.

Heute

Die Feuerwehrstiefel hängt Bernd Kühle auf gar keinen Fall an den Nagel. Im Gegenteil. Er kehrt zurück in den aktiven Dienst, wird bei seiner Heimatfeuerwehr in Northeim wieder Übungen und Einsätze mitfahren. Dann als Ehren-Kreisbrandmeister und Chef auf der Drehleiter. „Das liegt mir besonders am Herzen, diese Rückkehr. Ich wurde außerdem sehr gut wieder in die Reihen aufgenommen. Dort fühle ich mich Zuhause.“ Trotzdem: als nun Ex-Kreisbrandmeister lässt er auch viel zurück. Den Kontakt zu den Feuerwehrleuten im Kreisgebiet, zum Beispiel.

„War eine schöne Zeit, ganz toll. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und Erfahrungen gemacht. Die Menschen im Landkreis können stolz auf jeden Einzelnen sein, der sich hier ehrenamtlich einsetzt.“

Hier ist Bernd Kühle nun zuhause: Bei der Freiwilligen Feuerwehr in Northeim, als Chef auf der Drehleiter.

Außerdem ist er vom Kreistag im Landkreis Northeim zum Ehrenbrandmeister ernannt worden, wird fortan als Botschafter der Gandersheimer Domfestspiele jede Vorführung sehen und wieder mehr Zeit für sich und die Familie haben.

Zumindest dann, wenn er regelmäßig zur Feuerwehr geht: die Söhne Daniel und Christoph sind Zug- und Gruppenführer bei der Northeimer Feuerwehr. Die Frage, was das für den Papa bedeutet, beantwortet sich fast von selbst. „Das macht mich natürlich sehr, sehr stolz. Und ich scheue mich auch nicht davor, mich dort nun unterzuordnen.“ Wenngleich er bei seiner Abschiedsrede im Kreistag zugibt: „Meine Kinder haben mich früher oft vermisst“. Vielleicht sind sie auch deshalb zur Feuerwehr gegangen. Für eine gute Sache.

 

 

 

 

 

 

 

 

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